Stephan Serin



Chaussee der Enthusiasten

Mittwoch, 28. Mai 2014

Buchpremiere: 11. Juni 19 Uhr 30 im Badehaus

Im Titel steht eigentlich schon fast alles Wichtige, aber hier noch mal kleingedruckt: Am 11. Juni (Mittwoch) feiere ich das Erscheinen meines ersten Romans, Ziemlich schlechteste Freunde, ab 19 Uhr 30 im Badehaus, also an bewährter Stelle. Wer in den letzten anderthalb Jahren bei der Chaussee der Enthusiasten war, der kennt den Weg. Die anderen mögen diese Link nutzen.
Eingeladen sind alle, die gerne sitzen, während man ihnen vorliest oder vorsingt, denn ich habe einen musikalischen Gast aus Frankreich an meiner Seite. Eingeladen sind aber auch die, die schon mal ein Erasmusjahr gemacht haben, denn darum geht es in meinem Roman. Und natürlich all diejenigen, die ab dem 12. Juni jeden Tag Fußball gucken müssen und in dieser Zeit zu keiner Lesung mehr werden gehen können. Also eigentlich richtet sich die Buchvorstellung an jeden. Ich freue mich darum auf euer Erscheinen.


Dienstag, 13. Mai 2014

Buch gewinnen!

Das Ausrufezeichen macht es schon deutlich, dass es in diesem Post um etwas von Bedeutung geht. Diese Signalwirkung haben Ausrufezeichen so an sich. Wer die fünf Fragen zum Roman richtig beantwortet und mir die Antworten als Erster, Zweiter oder Dritter mailt (Adresse weiter oben), der gewinnt ein Exemplar von "Ziemlich schlechteste Freunde":


1. An welchem Datum lernt Markus Sebastian kennen?
2. Wie heißt die in Deutschland gebliebene Freundin von Sebastian?
3. In welchem Wohnheim sind Markus und Sebastian untergebracht?
4. In welchen Zimmern wohnen Markus und Sebastian?
5. Mit welcher Französin verabredet sich Markus?

Eigentlich sind die Fragen viel zu leicht. Alles reine Wissensproduktion. Wahrscheinlich käme selbst ich auf die Lösung. Aber jeder, der lesen kann, soll eine Chance haben.

Sonntag, 11. Mai 2014

Université de Pau et des Pays de l'Adour

 Die letzte Renovierung des einst prachtvollen Eingangsportals der Fakultät für Fremdsprachen,  Literaturwissenschaft, Humanwissenschaft und Sport liegt schon eine Weile zurück, möglicherweise, weil das Geld in der Hauptstadt gebraucht wird.


Vielleicht sind die Sitzecken im Hof der Fakultät deshalb nicht gepolstert.
  

Wenigstens gibt es Café- und Snackautomaten. 
 

Die 60 Erasmus-Credits schafft man auch ohne den Besuch der Uni-Bibliothek.

Wichtiger ist eine ausgewogene Ernährung in der Mensa, ... 

... die nur in den Semesterferien so leer ist wie auf diesem Photo.

Das gleiche gilt für die Seminarräume ...

... und die seltsam schiefen Flure.
Schade eigentlich. Gerade, wenn niemand da ist, würde man ja gerne auch jemanden treffen. So einsam hat sich Markus noch oft gefühlt, auch wenn faktisch gesehen mehr Leute um ihn rumstanden.

Dienstag, 6. Mai 2014

Erasmus-Soundtrack



Jede Zeit hat ihren Soundtrack. Nicht immer ist es der beste. Manchmal liegt das auch daran, was die Menschen hören, in deren Gesellschaft man sich aufhält. Obwohl er selbst CDs von Pavement, Tocotronic und Radiohead mit nach Frankreich brachte, würde Markus auf die Frage, welche zehn Songs das Jahr in Pau am meisten geprägt haben, wohl folgende nennen:
1. Alain Souchon: Sous les jupes de filles (Sebastians Lieblingslied)
2. Noir Désir:  Le vent nous portera
3. Zazie : Rue de la paix
4. Manu Chao : Me gustas tu
5. Zazie + Axel Bauer : A ma place
6. Weezer : Island in the sun
7. Scorpions: Wind of change (wegen der Marokkaner im Wohnheim)
8. The Streets: Stay positive (wegen Bernard Lenoir)
9. Zebda: Motivé (wegen Jean Marie Le Pen)
10. Serge Gainsbourg: Je suis venu te dire que je m’en vais (wegen Eva)

Am Sonntag gibt es noch einmal Hintergrundinformationen und am nächsten Dienstag dann die Fragen, durch deren Beantwortung man das Buch gewinnen kann.

Sonntag, 4. Mai 2014

Telefonate mit der Freundin in der Heimat ...

werden nicht von allen mit so viel Leidenschaft geführt wie von Sebastian. Deutlich repräsentativer scheinen mir doch die Probleme zu sein, von denen Buffalo berichtet, der sich bereits nach kurzer Zeit Fernbeziehung in Forum Planet Liebe Rat suchen muss, weil er einfach nicht mehr weiß, worüber er mit seiner Freundin noch reden könnte ("Über was redet ihr den stundenlang? ... Manchmal gehen mir die Ideen aus."). Verständlich, kann man doch übers Telefon weder gemeinsam Filme anschauen noch den anderen anfassen, um so die Phasen der Sprachlosigkeit zu überbrücken. Wenig überraschend hingegen, dass vor allem weibliche Forumsteilnehmer konstruktiv an der Lösung dieser thematischen Flaute mitwirken, während der vermutlich einzige andere männliche Ratgeber eine Empfehlung gibt, die intuitiv die richtige zu sein scheint: "Wenn nix zu reden ist, wird eben nicht geredet und man geht wieder seinem Leben neben der Freundin nach". Aber wahrscheinlich sollte man sich doch besser nicht von Intuition leiten lassen, sondern den Frauen vertrauen, damit sich das Wiedersehen so inbrünstig gestaltet wie in diesem Video. Ob sich Sebastian Josepha Weihnachten auch noch so in die Arme werfen wird? Die Zukunft wird es zeigen.

Mittwoch, 30. April 2014

Kapitel 8

Marine hatte tatsächlich zugesagt, als ich mich heute Morgen unter dem Vorwand bei ihr gemeldet hatte, ich hätte noch nicht verstanden, wie die administrative und die pädagogische Einschreibung abliefen und welche Kurse für mich in Frage kämen. Ihren Versuch, mir dies am Telefon zu erklären und ihren Vorschlag, sich dazu am Montagmittag in der Brasserie La Vague zu treffen, hatte ich erfolgreich abgeblockt. Stattdessen hatte ich sie dazu überreden können, sich mit mir heute Abend zu verabreden. Sie sollte mich um 21 Uhr mit ihrem Auto vom Wohnheim abholen. Wir wollten auf den Boulevard des Pyrénées. Bevor ich mich an die Avenue du Saragosse stellte, suchte ich noch mal die Toilette auf. Ich wollte nicht gleich nach unserer Ankunft gehen müssen. Vier Kabinen gab es im Erdgeschoss. Die ersten waren vollgeschissen. Vielleicht von den Indern, von denen es in jeder Etage mindestens einen gab und die ihren Müll über das ganze Wohnheim verteilten. Bei der dritten überwand ich mich. Ich musste ja nur pinkeln. Sonst hätte ich mir weiter oben etwas gesucht. Auf dem Weg nach draußen kam ich am Telefon vorbei, das mal wieder von Sebastian belegt war. Ich versuchte, ihn zu überhören. Ohne Erfolg:
„Ich liebe Dich. …
….
Ich dich auch
Mausiechen.
Du fehlst mir.
Ich vermisse dich auch.
Nein. Ich vermisse dich am meisten.“
Ich atmete durch, als die Tür zum Bâtiment B hinter mir ins Schloss fiel. Das Gesülze hörte ich nun den fünften Abend in Folge.
Vor den Treppen zum Bâtiment A hingen Mehdi und Rachid in ihren Trainingsanzügen ab und freuten sich, mich zu sehen:
„Allo, Marküs. Wiellst du meinen Puller luuutschen?“
„Euer Deutsch wird immer besser“, lobte ich sie auf Französisch.
Mehdi erkundigte sich erneut, ob es stimme, dass alle Deutschen schwul seien. Wir führten auch immer das gleiche Gespräch.
„Ja.“
„Willst du nachher mit uns und unserem Kumpel auf eine Party?“
„Kann nicht. Ich hab ein Date.“
„Ey, Marküs! Du gehst richtig ran.“ Ich hatte nun endgültig ihren Respekt erworben. Ich machte ein ironisches Victory-Zeichen und postierte mich an der Straße. Wer hätte gedacht, dass ich schon so früh zwischen zwei Optionen wählen durfte? Vielleicht gelang mir die Integration doch schneller als gedacht.
Gegenüber, auf der anderen Seite, stand der vierzehnstöckige Turm. Der beherbergte das Gros der US-amerikanischen Studenten. War das nach dem elften September politisch eigentlich noch korrekt? Vielleicht hatten die Franzosen das extra so eingerichtet, weil sie Amerikaner nicht leiden konnten.
Es war jetzt genau neun Uhr. Wo blieb Marine? Vielleicht sollte ich mir besser noch ein paar konkrete Fragen zur Uni überlegen, damit nicht sofort aufflog, dass ich mich eigentlich einfach nur so mit ihr treffen wollte. Sie sollte nicht glauben, ich wollte etwas von ihr. Wollte ich im Prinzip natürlich schon. Aber eine Weile beabsichtigte ich das noch vor ihr geheim zu halten, um nicht zu plump zu wirken. Natürlich würde ich die Chance ergreifen, sollte sich heute eine bieten. Allerdings mussten wir dann zu ihr gehen. Gestern Abend war eine Kakerlake durch mein Zimmer gehuscht. Wenig romantisch für die erste Nacht. Ein Golf näherte sich von links dem Wohnheim. Nein. Er fuhr weiter.
Welche Fragen wollte ich ihr noch mal stellen? Genau: administrative und pädagogische Einschreibung und Kurse. Das ergab: Muss ich mich zuerst administrativ immatrikulieren oder pädagogisch? Wo erfolgt die administrative und wo die pädagogische Immatrikulation? Würdest du mich begleiten? Nein, das kam zu hilflos rüber. Ich studiere Französisch und Politische Bildung, Welche Kurse würdest du mir empfehlen? Ich brauche insgesamt 60 Credits im Jahr? Wie viel sind die Kurse wert? Kann ich mir alle anerkennen lassen? Das reichte natürlich nicht. Zu trocken und zu unpersönlich. Der Peugeot hielt auch nicht, sondern bog in die Avenue du Loup ab. So würde der Übergang zu interessanteren Themen nicht gelingen. Entscheidend war der Transfer in die Bereiche Interessen und Geschmack. Wann wurde die Uni eigentlich erbaut? Und: Welche Gerichte gibt es in der Mensa? Isst du dort oft? Verdammt! Was hieß noch mal Gericht auf Französisch? Manchmal waren es gerade die einfachen Begriffe, die einem nicht einfielen. Ich hatte mein Wörterbuch vergessen. Das ging natürlich nicht. Ein Date ohne Wörterbuch war äußerst unklug, schließlich kam es auf die richtige Wortwahl an. Schnell rannte ich zurück. Code eingetippt. Falsch. Noch mal. Wieder falsch.
„47256“, rief Mehdi vom Bâtiment A rüber.
„Merci.“
Vorbei an Sebastian, der Josepha übers Telefon gerade Küsschen zukommen ließ, rein in mein Zimmer, Wörterbuch gegriffen, wieder raus, Tür abgeschlossen, an meinem Kommilitonen vorbei, der erneut einen Schmatzer durch die Leitung schickte - er kroch fast in den Hörer rein -, raus aus dem Gebäude, wieder zur Straße gesprintet. Eine Minute hatte mich die Aktion gekostet. Ob sie zwischenzeitlich gekommen war und schon wieder kehrtgemacht hatte, weil ich nicht vor dem Wohnheim gewartet hatte? Es war fünf nach neun. Zwanzig nach neun musste ich erneut auf Toilette. Verdammt. Das war die Aufregung. Ob ich meine arabischen Freunden bitten sollte, Marine zu benachrichtigen, dass ich nur mal kurz auf dem Klo sei? Besser nicht. Welchen Eindruck würde das hinterlassen, wenn die erste persönliche Information, die sie über mich erhielt, die war, dass ich noch auf dem Lokus weilte? Keinen besonders erotischen. Ich stürmte wieder los. Diesmal gab ich den Code sofort richtig ein. Ich eilte aufs WC. Von dort konnte ich Sebastian problemlos belauschen:
„Nein, du …
Nein, nicht ich, du …
Nein, leg du zuerst auf!“
Und wieder ging es zurück zum vereinbarten Treffpunkt. Meine Abwesenheit hatte nicht länger als 90 Sekunden gedauert. Hoffentlich war sie nicht gerade in dieser Zeit am Wohnheim vorbeigefahren.

Ob die 90 Sekunden Austreten 90 Sekunden zu lang waren, wird sich im weiteren Verlauf des Romans klären, ebenso, ob Sebastian oder Josepha zuerst auflegte. Da dies hier der letzte Vorabauszug auf dieser Seite war, muss man sich das Buch allerdings kaufen, leihen oder klauen, wenn man erfahren möchte, was Markus und seinem Kommilitonen noch passieren wird. Am 11. Juni gibt es jedenfalls um 19 Uhr 30 die Premiere von "Ziemlich schlechteste Freunde" im Badehaus. Bis dahin werde ich hier noch ein paar Hintergrundinformationen veröffentlichen und bald auch die Fragen zum Inhalt stellen, deren zügige und korrekte Beantwortung den Gewinn eines Buches ermöglicht. Das erspart Kauf, Leih und Klau.

Sonntag, 27. April 2014

Das Méliès und Le Pornographe

Groß war die Auswahl für Cineasten im Jahr 2001 nicht, wenn sie in Pau einen guten Film sehen wollten. Es gab das Cinéma Mega CGR gegenüber vom Campus, wo Markus und Sebastian immer vorbeikamen, wenn sie zur Uni gingen oder zurück ins Wohnheim. Zwar zierten die Namen der wichtigsten Regisseure der Kinogeschichte die Stufen der Freitreppe vor dem Multiplex, aber Werke von Godard, von Orson Welles, von Alfred Hitchcock oder von Akira Kurosawa würden dort nie laufen. Als einziges Programmkino der Stadt blieb für den Helden des Romans somit nur das Méliès, das er auch im Laufe seines Aufenthaltes noch unzählige Male alleine aufsuchen sollte.


Das Programmheft für die Zeit vom 19. September und 16. Oktober 2001 hatte folgendes Cover:
Am 28. September, dem Tag der für Markus so frustrierenden Erasmusparty, liefen außerdem noch:
- "Dieu est grand, je suis tout petite" von Pascale Bailly
- "The Pledge" von Sean Penn
- "2001: A Space Odyssey" von Stanley Kubrick
- "Le Lait de la tendresse" von Dominique Cabrera
- "La Pianiste" von Michael Haneke
- "Queenie In Love" von Amos Kollek und
- "No Man's Land" von Danis Tanovic
Aber eben nicht in der Spätvorstellung. Und wenn doch, dann hatte Markus das schon gesehen. So nahm er mit Le Pornographe vorlieb, bei dem einem schon der Gesichtsausdruck von Jean Pierre Léaud im Trailer eine Warnung sein musste, dass hier tonnenschwere Sinnkrisen verhandelt wurden:


 

Dienstag, 15. April 2014

Kapitel 7/2

Die Erasmus-Party war kein Erfolg, also ging es für Markus allein zurück ins Wohnheim, wenn auch mit Zwischenstopp.

Bis zum Wohnheim waren es bestimmt 45 Minuten. Vor dem Méliès, Paus einzigem Programmkino, einem grauen Gebäude, optisch eine Mischung aus Anglikaner-Kirche und Parkhaus, warteten etwa ein Dutzend Leute. Die Spätvorstellungen hatten noch nicht begonnen. „No man’s land“ von Danis Tanović in Kino 1 und in Kino 2 „Le pornographe“ von Bertrand Bonello. Den bosnischen Streifen hatte ich vor zwei Tagen bereits mit Sebastian gesehen. Es war erst dreiviertel elf. Ich wollte eigentlich nach dieser frustrierenden Party nicht schon zurück ins Wohnheim. Andererseits, wie verzweifelt war das denn, wenn ich in einen Film ging, der „Der Pornograph“ hieß? Die meisten Besucher waren sicherlich wegen „No man's land“ hier. Mit wem würde ich mir den Saal teilen müssen? Mit einer Handvoll alleinstehender Männer, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatten und gar nicht mehr wussten, wie man Sex überhaupt schrieb? Andererseits bewiesen die Fotos im Schaukasten: Es gab in „Le pornographe“ tatsächlich Nacktszenen. Wann hatte ich das letzte Mal eine weibliche Person unbekleidet gesehen? Ich stellte mich erstmal an. Vorsorglich. Einen Rückzieher konnte ich immer noch machen. Am Ticketschalter saß eine Frau. Bei ihr hätte ich meinen Ruf als Perverser mit Sicherheit weg. Gerade eine Woche in der Stadt und schon das erste Mal in einem Pornofilm. Warum zeigte man den eigentlich in einem Programmkino? Vor mir stand ein mittelalter Herr. Der wollte bestimmt auch dahin. Er entsprach dem Bild, das ich mir von Besuchern eines Puffs machte: klein, bebrillt und glatzköpfig, also ich in zwanzig Jahren. Seit meiner Ankunft vor einigen Tagen fielen mir die Haare aus. Roch er nicht auch seltsam? Wahrscheinlich würde er während der Vorführung heimlich onanieren. Sicher war ich gleich umringt von sexuell frustrierten, bemitleidenswerten Kerlen aus dem unteren Attraktivitätssegment, die alle, sobald auf der Leinwand die erste Brustwarze zu sehen war, synchron ihr Glied hervorholten.
Wenigstens stand ich hinter dem Typen. Am Schalter konnte ich sagen: Ich nehme das gleiche. So würde das Pärchen nach mir nicht erfahren, was ich mir ansah. Es reichte, wenn ich bei der Ticketverkäuferin auf die schwarze Liste kam. Sollte ich mir noch schnell eine Erklärung für sie zurechtlegen, falls sie mich zur Rede stellte und wissen wollte, wieso ich einen so schweinischen Film schaute? ‚No man’s land‘ habe ich schon gesehen, darum gehe ich heute in einen Erotikfilm. Oder: Mich interessiert nur die Handlung. Bei den Sexszenen gucke ich nicht hin.
Mist! Gleich war ich an der Reihe. Selbst wenn sie sich nichts anmerken lassen würde, ihren Teil denken würde sie sich in jedem Fall. Jetzt bestellte der Typ vor mir: „Deux fois ‚No man’s land‘.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Nicht nur, dass er eine Begleitung hatte, er wählte auch noch den anderen Film! Jetzt konnte ich nicht mal das gleiche nehmen. Ich trat zur Seite und ließ das Pärchen vor. Sie wollten ebenfalls zu Tanović. Ich ließ noch einen Besucher vor. Auch der wollte in „No man’s land“, obwohl er ebenfalls gut zum anderen Film gepasst hätte. Ich gab mir einen Ruck.
Un billet pour l’autre film. – Eine Karte für den anderen Film“, murmelte ich.
Den anderen Film?“, wunderte sich die Frau an der Kasse. „Kino 2“, flüsterte ich.
Also einmal ‚Le pornographe‘?“, vergewisserte sie sich für alle vernehmbar. Ich wäre am liebsten vor Scham im Erdboden versunken. Sie musterte mich spöttisch. Erwartete sie, dass ich ihr versprach, nicht zu onanieren?
Da sind aber Nacktszenen drin“, warnte sie.
Ach so …“, stammelte ich. „Äh, ja ... wieso? Wieso sagen Sie mir das?“
Bist du denn schon achtzehn?“, musterte sie mich streng.
Äh, ja. Dreiundzwanzig.“
Kannst du mir deinen Schülerausweis zeigen?“
Meinen Schülerausweis? Wieso?“
War nur ein Spaß.“ Sie lachte. „Der Film braucht dir nicht peinlich zu sein. Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern.“
Das ist mir nicht peinlich“, stritt ich alles ab.
Ich erhielt meine Karte und trat zur Seite. Der Frau hinter mir erklärte: „Ich möchte auch in den Film, in den der junge Mann vor mir möchte. Ich bin aber schon über 18. Hier mein Seniorenticket.“
Ich flüchtete in den Kinosaal, in dem das Publikum deutlich weniger homogen war, als ich befürchtet hatte. Ich befand mich nicht ausschließlich in Gesellschaft solo erschienener männlicher Besucher zwischen 40 und 50 im Singlestatus, sondern eines gemischten Publikums. Es gab Männer um die 30, es gab Frauen und sogar Pärchen. Und „Le pornographe“ war entgegen meiner Erwartung auch kein Sexfilm, sondern die Geschichte eines alternden Pornoregisseurs in einer Sinn- und Schaffenskrise. Einerseits war ich erleichtert, andererseits auch irgendwie enttäuscht, denn die wenigen Nacktszenen waren nicht wirklich erotisch. Sie zeigten den Protagonisten dabei, wie er daran scheiterte, eine gute Sexszene zu drehen. Bevor man als Zuschauer in Stimmung kam, kleideten sich die Darsteller wieder an. Die meiste Zeit lief der Regisseur mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen und tiefen Furchen auf der Stirn über die Leinwand und gab banale, sinnfreie Sprüche von sich, die seiner Midlife-Crisis sprachlich Ausdruck verleihen sollten. Selbst wenn ich vorgehabt hätte zu onanieren, hätte ich es nicht geschafft. Es war so langweilig und künstlich. Ich verließ den Film schon kurz vor dem Ende. Wenige Minuten nach eins erreichte ich das Wohnheim.
Ah, Marküs. Iiieesch bin kaput. Wiielst du meinen Puller lutschen?“ Rachid saß kiffend auf seinem Fensterbrett im zweiten Stock vom Bâtiment A. Aus seinem Zimmer schallte französischer Hip-Hop ins Freie. Ob er sich irgendwann merken würde, dass man meinen Namen nicht Marküs aussprach? Ich hatte es ihm bestimmt schon fünfmal gesagt.
Wo warst du?“, fragte er.
In einem Pornofilm.“
Er musste lachen. Er hielt alles, was ich sagte, für einen Witz. Dabei war mein Abend gar nicht lustig gewesen, sondern total ernüchternd.
Ich winkte noch einmal, dann tippe ich meinen Code ein. Als ich die Tür geöffnet hatte, platzte mir fast das Trommelfell. Jemand telefonierte.
Afo bu mgbe onye ha na kpo huru ebe hé liri Tutankhamun ... Es war nicht Sebastian, sondern meine schwarzafrikanische Nachbarin im blauen Jogginganzug. Sie feuert ihre Syntaxkaskaden nicht nur in einer Lautstärke ab, die die dünnen Gemäuer des Wohnheims erzittern ließ, sondern auch in einer Geschwindigkeit, die es mir unmöglich machte zu erkennen, ob sie Französisch, Englisch oder irgendeinen afrikanischen Dialekt sprach. Wahrscheinlich letzteres. Warum telefonierte sie um diese Zeit? Gab es eine Zeitverschiebung? Und warum schrie sie so? War die Verbindung so schlecht? Oder stritt sie sich mit ihrem Freund daheim? Ich ging auf Toilette, dann auf mein Zimmer. Der Abend war ein totaler Reinfall. Vielleicht sollte ich doch langsam mal Marine anrufen. Vielleicht hatte der Italoengländer sich heute mit ihr getroffen. Vielleicht war er deswegen nicht erschienen.

Weiter geht es am Wochenende.

Sonntag, 13. April 2014

Erasmuspartys ...

... werden in der Regel von Erasmusstudenten bestritten, die leider meistens gute Laune haben (sonst gibt es ja nichts für sie zu tun), so wie die hier, die hier, die hier oder die hier und sich genötig sehen, ihrer Bombenstimmung dadurch Ausdruck zu verleihen, dass sie in jede Kamera grinsen und dabei im Wechsel den rechten, den linken oder manchmal gar beide Daumen in die Höhe recken. Wenig Platz bleibt da für andere Töne, zum Beispiel Death of a party von Blur, das Markus Schwierigkeiten, sich unter den Feiernden in der Rue d'Etigny wohl zu fühlen, emotional eher entsprochen hätte. Hätte er sich vorher Rat bei Marie Dubuque geholt, dann hätte er zumindest seinen Abgang womöglich souveräner hinbekommen. Aber damals besaß Markus auch noch kein Handy.

Am Dienstag weiter im Text in einer Woche weitere Hintergrundinfos.

Dienstag, 8. April 2014

Kapitel 7/1


Das englische Pärchen war auch erschienen. Die beiden hielten wie an der journée d'accueil Händchen. Und dann noch ein paar von den Deutschen, die ich vor vier Tagen ebenfalls vor der Présidence gesehen hatte. Und die beiden Frauen mediterranen Typs, die ich geografisch in Portugal verortet hatte. Die anderen, die im Kreis auf dem Boden in der Mitte des Raumes saßen, sah ich zum ersten Mal. Auch die, die an den Seiten standen. Aus allen Richtungen spanische Wortfetzen. Wo waren die Franzosen? Waren überhaupt welche hier? Warum war ich eigentlich hier? Um nicht wieder mit Sebastian ins Kino gehen zu müssen. Im Hintergrund lief Manu Chao. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass bei einer Erasmusparty zu Beginn des Jahres Franzosen Mangelware waren. Andererseits war es auch nicht ausgeschlossen, dass jemand Marine eingeladen hatte. Schließlich hatte sie mehrere von uns über den Campus und durch Pau geführt. Ich schaute mich vergeblich nach ihr um.
Ich muss mal kurz telefonieren“, entschuldigte sich Sebastian. „Bin gleich wieder da.“
Ich machte mich auf die Suche nach dem Büffet. In der verwaisten Küche wurde ich fündig. Desperados-Bier, Orangensaft, Cola, Wasser und Chips. Ich goss mir eine Cola in einen weißen Plastebecher und nahm auf einem schwarzen Klappstuhl Platz. Die Luft war zigarettenrauchgeschwängert.
Eine Blondine in türkisfarbenem Oberteil und blauem Jeansrock betrat den Raum und machte sich an der Cola-Flasche zu schaffen. Sie war hübsch, vermutlich keine Spanierin. Ich versuchte mein Glück:
Je peux te recommander les chips. Ils sont excellents.“ Waren Chips im Französischen eigentlichen männlich?
Merci.“ Sie lächelte.
Tu viens d’où?“
D’Allemagne.“
Ah!“ Mein Interesse erlosch augenblicklich.
Und woher?“, wechselte ich ins Deutsche.
Aus Hamburg.“
Ich bin aus Berlin.“
Ich hatte keine weiteren Fragen parat, was vielleicht auch an meiner fehlenden Motivation lag. Zum Glück bekamen wir Gesellschaft. Eine etwas mollige Frau mit braungelockten, schulterlangen offenen Haaren erschien im Türrahmen. Genau. Ich kannte sie von der journée d'accueil.
Bringst du noch für Joaquim ein Bier mit?“
Okay.“
Die Blonde griff sich eine Flasche und sie verschwanden wieder aus der Küche. Im Wohnzimmer wurde die Musik lauter. Irgendwas Spanisches. Ich erhob mich von meinem Stuhl und erhielt erneut Besuch. Ein bisschen zu dünn für meinen Geschmack, aber ein ausgesprochen hübsches Gesicht, große Augen, lange Wimpern und eine kleine Nase.
Tu fuis la musique?“
Como?“
Est-ce que tu fuis la musique?“, wiederholte ich laut und deutlich.
He ne comprenn pas.“
Tu es d’où?“
Qu’est-ce quä çä?“ Das war ja wie in der Bankfiliale. Ich wechselte zu Spanisch. Zum Glück hatte ich das vor Jahren mal ein halbes Jahr an der Volkshochschule gelernt.
Donde estas?“
Zaragoza.”
Ah, Zaragoza!”, tat ich begeistert.
Conoces Zaragoza?”
Ich kannte Zaragoza nicht, erklärte aber, dass ich mal gelesen hätte, wie schön die Stadt sei. Sie erfuhr, dass ich aus Berlin kam. Sie war ebenfalls begeistert und bot mir an, ich könne sie mal besuchen kommen. Sie stand sehr dicht und streichelte mir über den Arm. Eigentlich wollte ich Französisch lernen. Mit ihr würde das nichts werden. Andererseits, eine kleine Affäre zu Beginn mit einer Spanierin, solange ich noch keine Französin kannte? Was sprach dagegen? Auf Marine konnte ich mich vielleicht nicht verlassen.
Sie griff sich eine Bier. „Quieres bailar?“ Bailar hieß tanzen. Ich folgte ihr. Der Sitzkreis im Wohnzimmer hatte sich an die Wände verzogen. In der Mitte hatten die ersten angefangen, ihren Körper zur Musik zu bewegen. Haschischrauch hüllte mich ein. Vielleicht konnte man auch so bekifft werden.
Como te llamas?”, wollte sie wissen.
Markus. Como te llamas?“
Jana.“
Sie streichelte mir erneut über den Arm, dann über den Kopf und gesellte sich zu den Tanzenden in der Mitte. Die Musik kannte ich nicht. Aber wen aus Spanien kannte ich schon außer Héroes del Silencio? Offenbar gab es auf der iberischen Halbinsel auch noch andere Bands. Jana konnte sich eigentlich ganz gut bewegen. Sie forderte mich mit der Hand auf, zu ihnen zu kommen. Eigentlich tanzte ich nicht so gerne. Vor allen Dingen nicht, wenn mich jemand dabei beobachtete, von dem ich vielleicht etwas wollte. Aber vielleicht sollte ich mal über meinen Schatten springen und interkulturelle Kompetenz zeigen. Ich bewegte mich wippend auf den Menschenhaufen in der Mitte zu. Zum Glück war das Lied schnell zu Ende.
Wieder streichelte mir Jana über den Arm.
Markus, esto es Manuel. Mi amigo“, deutete sie auf ihren Tanzpartner, einen Typen mit Hawaiihut und behaarten Armen. Auch wenn mein Spanisch schlecht war, den Schlüsselbegriff hatte ich verstanden: mi amigo.
Manuel, esto es Markus. Es de Berlin.“
Manuel klapste mir anerkennend auf die Schulter. Waren sie auf einen Dreier aus? Sicher nicht. Was für eine Demütigung. Sollte ich Jana erklären, dass ich sowie nichts von ihr wollte? Dass ich mich nur für Französinnen interessierte? Der nächste Song begann. Ich tanzte mich vorsichtig wieder aus dem Zentrum des Geschehens und landete am Fenstersims, auf dem eine dunkelblonde, schlanke Studentin in weißem Oberteil eine SMS in ihr Handy tippte.
Salut!“, sprach ich sie an.
Hola?“
Tu viens aussi de l’Espagne?“
He ne comprenne pas.“
Donde estas?“
De Zaragoza.“
Hier schien heute eine ganze Reisegruppe aus Saragossa versammelt zu sein. Ich rief erneut meine gespielte Begeisterung ab, sie schwärmte für Berlin. Wir luden uns gegenseitig ein. Sie kam mir immer näher, streichelte mir über den Arm, berührte mehrmals meine Hand. Ich war schon fast erregt, dann kam ihr Freund zurück.
Markus. Es Jorge. Mi amigo.“
Ich wollte weg. Donde esta el toilette?“
El toilette?“ Toilette war wohl doch kein international gebräuchlicher Begriff. Busca mi amiga“, log ich. Wo war eigentlich Sebastian? Telefonierte er immer noch? Wenn man ihn mal brauchte, war er nicht zur Stelle. Auch nicht, als ich von der Toilette wieder zurück war. Wen kannte ich eigentlich noch? Nur noch das englische Pärchen. Ich ließ mich neben beiden auf der Matratze nieder.
Ça va?“
Oui, ça va. Et toi?“
Wenigstens verstanden sie Französisch.
Alors, qu’est-ce que vous avez fait ces derniers jours?“ Sie schauten mich fragend an. Okay. Sie verstanden also doch kein Französisch. Immer mehr tanzten. Einige barfuß.
Do you always hold hands?“, fragte ich scherzend. Sie konnten über meine Bemerkung nicht lachen.
Not always.“
Were is the other English boy? The one with the Italian mother?” Sie wussten es nicht. Wahrscheinlich traf er sich bereits mit Marine. Er hatte es richtig gemacht. Hier waren nur Pärchen und Deutsche. Und nicht eine einzige Französin. Ich hätte nicht herkommen, sondern lieber auf meinem Zimmer Radio hören sollen. Ich stand auf, um Sebastian zu suchen. Im Flur drängelte ich mich an den beiden Deutschen von vorhin aus der Küche vorbei, die sich gerade mit Joaquim und einem anderen Spanier auf Englisch zu einem Ausflug ins Baskenland verabredeten. In der Küche war Sebastian auch nicht. Auch nicht im anderen Zimmer, wo Engländer und Studenten mir unbekannter Nationalität ebenfalls Pläne für gemeinsame Aktivitäten schmiedeten. Dann würde ich eben alleine gehen. Ich konnte ja nicht ewig warten. Ich griff meine Jacke, meinen Rucksack und stieg die Treppe hinab. Draußen war es noch angenehm warm. Gegenüber sah ich Sebastian in einer Telefonzelle. Er bemerkte mich nicht. Ich machte mich auf den Heimweg. Um die Erasmusstudenten musste ich zukünftig unbedingt einen Bogen machen. Wenn ich mich mit denen anfreundete, würde ich nie eine Französin kennenlernen und meine Sprachkenntnisse verbessern, weil ich mit ihnen ständig nach Bilbao und Saragossa fahren und Partys würde feiern müssen. Wahrscheinlich würde sich mein Französisch sogar verschlechtern. Ich musste es alleine schaffen. Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, als Paar nach Frankreich zu gehen oder mit einem Landsmann in eine WG zu ziehen?

Ende der Woche mehr dazu, wie eine Erasmusparty abläuft und was Markus vielleicht hätte anders machen sollen.

Sonntag, 6. April 2014

Wenn Franzosen versuchen, Englisch zu sprechen ...

... klingt das nicht immer so schrecklich wie beim Caisse d'Epargne-Angestellten, an den Markus geriet. Es gibt auch Menschen westlich vom Rhein, die die Sprache Shakespeares deutlich besser beherrschen, wie man in diesem Video sieht. Aber hier zeigt sich auch nur wieder, wie wichtig das frühkindliche Erlernen von Fremdsprachen ist.


Am Dienstag kommt der nächste Roman-Auszug, in einer Woche mehr zu den Hintergründen.

Dienstag, 1. April 2014

Kapitel 6


Zwei Tage später hatte ich Marine noch nicht angerufen, dafür aber mein Zimmer halbwegs eingerichtet. Ich besaß nun einen Teller, eine Tasse, Besteck, einen Topf, ein paar Lebensmittel und Toilettenpapier. Und ich hatte mir bei E.Leclerc, einem riesigen Supermarkt gegenüber vom Campus, einen CD-Player mit Radio besorgt, um so lange, wie ich noch keine Französin datete, zumindest mein passives Französisch zu trainieren. Dazu kam noch die Ausgabe für die tägliche Lektüre der L’équipe und von Le monde. Frankreich war teuer. Ich musste Geld abheben. Natürlich nicht allein. Sebastian war mir seit unserer Ankunft kaum von der Seite gewichen, abgesehen von den Momenten, in denen er mit Josepha telefonierte. Nun begleitete er mich auch zur Caisse d’Epargne-Fililale ins Zentrum. Mir war keine Erklärung eingefallen, wieso er nicht hätte mitdürfen sollen. Außerdem mangelte es momentan an Alternativen. Die fette Schwarze im Zimmer 6 war keine Französin. Sie kam aus einem englischsprachigen Land. Der stille und freundlich grüßende Brillenträger mit der Carlos-Brille und der Gebetsmütze schräg gegenüber von Sebastian musste aus dem Maghreb sein. Die Gespräche mit Mehdi und Rachid, die oft vor der Treppe vom Bâtiment A abhingen, waren bisher nicht über die Fragen hinausgekommen, ob alle Deutschen schwul seien und ob ich ihren Puller lutschen wollte.
Bevor wir unsere Karten in den Automaten der Bank-Filiale gegenüber vom Centre Bosquet schoben, schlug ich vor: „Lass uns mal erst erkundigen, wie teuer hier die Gebühren sind!“
Eigentlich war es mir egal, welche Gebühren verlangt wurden. Ich wollte vor allem Französisch sprechen. Und hoffte, dass die Bankangestellten mich nicht sofort als Deutschen identifizierten. Durch zahlreiche kürzere Frankreichbesuche, sieben Jahre Gymnasium und zwei Jahre Romanistikstudium beherrschte ich die Sprache ganz passabel, zumal ich mich immer darum bemüht hatte, jede Gelegenheit zum Sprechen zu nutzen. Schon oft hatte man mir in Frankreich bescheinigt, praktisch akzentfrei zu sprechen. Mal sehen, wie lange ich meinem Gegenüber am Schalter vormachen konnte, ich sei sein Landsmann. Mein Anliegen war zwar thematisch dafür ungeeignet, denn warum sollte ich Kunde einer deutschen Bank sein, wenn ich Franzose war. Aber ich hatte die richtigen Impulse im Wohnheimzimmer einstudiert, um mich als Einheimischer zu verkaufen:

1) Guten Tag. Ich bin zwar kein Kunde Ihrer Bank, würde aber gerne mit meiner Karte Geld abheben. Wie hoch sind denn die Gebühren?
2) Aha. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach meiner Hausbank. Ich bin bei der Sparda-Bank Berlin. Können Sie mir darüber Auskunft erteilen, wie teuer das ist?
3) Das ist eine deutsche Bank. Das haben Sie bestimmt in Ihrem Computer.
4) Ich bin bei der Bank, weil ich gerade ein Erasmusjahr in Berlin gemacht habe.
5) Pauschal oder in Abhängigkeit von dem Betrag, den ich abhebe?
6) Vielen Dank.

Die Wortbeiträge Nummer zwei, drei und vier würde ich nicht benötigen, sofern die Gebühr von Caisse d’Epargne erhoben wurde. Ich musste nur sicherstellen, dass mich Sebastian nicht verriet. „Lass mich reden. Ich hab solche Gespräche schon geführt.“
Wir betraten die kundenfreie Filiale. Zwei Bankangestellte blickten auf und lächelten. Der Jüngere von beiden, ein Mann Anfang zwanzig mit kurzen gegelten Haaren, eilte auf uns zu.
„Je peux vous aider? - Kann ich Ihnen helfen?“
„Bonjour!“, legte ich los und wurde sogleich unterbrochen.
„Oh, Germany. Your French really good.“
Diese Beleidigung war ein Schlag ins Gesicht. Warum hatte er nicht gleich gesagt: „Oh, you are from Berlin Friedrichshain.”?
Ich setzte an: „Nein, ich bin nicht aus Deutschland. Ich bin aus Afghanistan und auf der Suche nach einem Objekt für meinen Dschihad.“
Doch Sebastian kam mir zuvor: „Yes, we are from Berlin. Germany.“ Na toll. Meine Identität war aufgeflogen. Ich riss das Wort wieder an mich.
„Je ne suis pas un client de votre établissement. Mais j’aimerais retirer de l’argent avec ma carte bancaire. Pourriez-vous m’indiquer les frais?“
„Yes, I can. He money, on the money from the machine. The costs. The bank, that you have. This is he money.“ Offenbar hatte er Englisch nach dem ersten Halbjahr der siebten Klasse abgewählt. Ich verstand gar nichts.
„Vous pouvez parler français! - Sie können Französisch sprechen!“, schlug ich vor.
„No. You talk English!“, weigerte er sich und schüttelte dabei lächelnd seinen Kopf. Offenbar waren wir in dieser Filiale die ersten Ausländer seit Menschengedenken und er erhoffte sich vom Gespräch mit mir eine Auffrischung seiner nicht vorhandenen Fremdsprachenkenntnisse. So setzten wir unser Gespräch bilingual fort:
„Pardonnez-moi, Monsieur. Mais je n’ai rien pigé de ce que vous avez essayé de me dire.“ Ich wurde lauter. Er blieb unbeeindruckt: „Okay. The bank machine … costs moneys. Görman Mark. Not the machine. But he bank you have. Your bank.”
„Si je vous ai bien compris c’est ma banque en Allemagne qui prélève des frais sur les retraits de ses clients à l’étranger.“
Sebastian stand ratlos daneben. Er schien unsicher, ob er sich, wie von mir gewünscht, nicht einbringen durfte, oder mir nun doch unter die Arme greifen sollte. Abwechselnd schaute er von mir zu meinem Tandempartner.
„Was meint er?“
„Ist mir egal. Er soll Französisch reden.“
„Yes.“
„Quel est le montant?“
„Äh, the bank ... äh the bank Germany has a name. What?”
Ich schüttelte nur gereizt den Kopf.
German Bank? Banque de commerce?“, bot er mir ungerührt an, so als habe er von unseren kommunikativen Schwierigkeiten noch nichts mitbekommen.
Sparda-Bank Berlin.”
Ich buchstabierte und er tippte den Namen in seinen Computer ein, allerdings erst, nachdem er jeden einzelnen Buchstaben wiederholt hatte.
Er blickte eine Weile auf seinen Bildschirm, spielte mit seiner Unterlippe und fing dann an zu stammeln: „Äh, the money … your banque ...äh, äh a problème ... ordinaetör here...”
Ich verstand weiterhin nur Bahnhof und versuchte erneut, ihn dazu zu bewegen, doch einfach Französisch zu reden, unter anderem, indem ich mehrere französische Zungenbrecher fehlerfrei rezitierte.
Doch er blieb bei Englisch. Ich schaute zu Sebastian und rollte mit den Augen.
„Soll ich es mal mit Spanisch versuchen?“, bot er an.
„Mach mal!“, verzog ich verächtlich den Mund und nickte ironisch. Was sollte das bringen? Warum sollte ein französischer Bankangestellter einen Deutschen, der Spanisch sprach, besser verstehen als einen Deutschen, der Französisch sprach?
„Okay. Äh .... Querer ... saber ... banco ... los costos.“ Sebastian machte doch tatsächlich Ernst. Er beugte sich dabei über den Schalter, als sei alles ein Problem der Akustik. Sein Spanisch hörte sich kaum besser an als das Englisch des Caisse-d’Epargne-Mitarbeiters. War das hier das französische Pendant zu „Verstehen Sie Spaß?“ Wo war die Kamera? Ich wandte mich genervt an den älteren Kollegen:
„Excusez-moi, Monsieur. Pourriez-vous m’indiquer le montant des frais prélévés par ma banque allemande pour le retrait d’argent?“
„Si ... moneta ... no sapere ...cui computer ...di questo bancuo.“
Das sollte wohl Italienisch sein. Ich gab auf. Eine weitere misshandelte Sprache hatte mir gerade noch gefehlt. Ich verabschiedete mich auf Russisch und trat den Rückzug an. Sebastian, der so in sein Gespräch vertieft war, folgte mir erst eine halbe Minute später.
„Ich hab nichts rausbekommen. Wollen wir es noch woanders versuchen?“
„Nein. Scheißegal! Lass uns was abheben! … Wie kommt es eigentlich, dass du so gut Spanisch kannst?“
„Ich bin mal nach Santiago de Compostela gewandert. Mit Josepha.“
„Bist du gläubig?“
„Nein. Aber ich wandere gerne.“
Er wurde mir immer seltsamer. Ein Glück, dass er bald in eine WG ziehen würde.

Ende der Woche dazu, wie es klingt, wenn Franzosen Englisch sprechen, am nächsten Dienstag weiter mit dem Roman.

Sonntag, 30. März 2014

Café Russe und Boulevard des Pyrénées

Hier in diesem Café mit der roten Markise duellierte sich Markus das erste Mal mit einem kleinen Italiener um eine Französin.

Darum konnte er auch nicht den Blick auf die Pyrenäen richten, den Lamartine als den schönsten Blick auf der Erden bezeichnete.
Marine sollte nicht die letzte Frau sein, auf die auch der Italiener ein Auge geworfen hatte. Schade eigentlich, dass dabei die Natur ein bisschen untergeht. Aber für diese interessiert sich Sebastian um so mehr.

Am Dienstag wieder etwas vom Roman, Ende der Woche Hintergründe.


Dienstag, 25. März 2014

Kapitel 5/2


Marine führte uns zunächst zu den verschiedenen Fakultäten. Unsere würde die literatur- und sprachwissenschaftliche sein, ein dreigeschossiger Bau mit dunklen Gängen und einem Innenhof, durch den sich steinerne Sitzgelegenheiten zogen. Dort sollten wir uns in den nächsten Tagen immatrikulieren, um einen Studentenausweis zu erhalten, und zu Beginn der kommenden Woche mit Hilfe unserer pädagogischen Berater unseren Stundenplan zusammenstellen. Die zweite Station war die Bibliothek des Fachbereichs Recht und Literatur, ein flaches Gebäude, das wie meine Fakultät eine Renovierung bitter nötig hatte. Danach ging es zur naturwissenschaftlichen Bibliothek, um die es nicht besser bestellt war. An das Clous, das Studentenwerk am nördlichen Rand vom Campus, wandte man sich in Wohnangelegenheiten. Wir beschlossen unseren Rundgang mit einem Besuch der drei Mensen, die sich großzügig über das weitläufige, mit großen Wiesen durchsetztes Uni-Areal verteilten, der Cafétéria Arlequin in der rechtswissenschaftlichen Fakultät, der Brasserie La Vague gegenüber der literatur- und sprachwissenschaftlichen Fakultät und dem riesigen Restaurant Universitaire am südlichen Ausläufer, gegenüber vom großen Parkplatz. Das Gespräch mit Marine suchte ich nicht. Sie sollte nicht annehmen, ich hätte die Gruppe ihretwegen  gewechselt. Mein Gegenspieler – der tatsächlich eine italienische Mutter hatte – war plumper:
„Was kann man hier abends machen?“
„Es gibt das Hoegaarden. Da finden Donnerstagabend immer gute Partys statt.“
„Was für Partys?“
„Karaoke-Partys.“
„Ah. Bist du da oft?“ Er sprach wirklich ausgesprochen gut Französisch, fast ohne Akzent.
„Recht oft.“
„Und singst du auch?“
„Eigentlich nicht so.“
„Du singst bestimmt wunderschön.“ Wie billig. Sie musste lachen. Sicherlich, weil ihr dieses plumpe Kompliment unangenehm war.
„Ich komm mir gerne mal anhören, wie du so singst.“
Sie musste wieder lachen. „Ich singe eigentlich nicht.“
„Aber was würdest du denn gerne singen? Liebeslieder? Romantische Lieder? Französische Lieder?“
„Meistens kommen Hits.“
„’I can’t get you out of my mind’ von Kylie Minogue?”
„Nee. Eher französische Hits.“ Sie schüttelte verlegen den Kopf.
„Ich liebe französische Hits.“ Wann würde er seine Arme um sie legen? Am liebsten hätte ich sie aus ihrer misslichen Lage befreit. Aber ich blieb besser im Hintergrund.
„Und wo gehst du sonst so hin?“
Boulevard des Pyrénées und ins Durango. Das ist eine Disko. Aber ich gehe auch nicht ständig weg.“
„Wohnst du auch im Wohnheim?“
„Nein. Ich habe eine Einzimmerwohnung.“
Wenn sie uns anderen nicht immer wieder auch etwas über die Uni und die Stadt erzählt hätte, dann hätte sie vermutlich die ganze Zeit mit ihm reden müssen.
„Also, ich führe euch jetzt ins Zentrum und zeige euch noch ein paar Ecken, wo man abends ausgehen kann.“ Wir verließen die Uni in Richtung Süden.
„Hier ist das Hoegaarden. Da kann man feiern.“ 

Das Café hatte den Charme einer Autobahnraststätte. Südöstlich vom Hoegaarden standen Plattenbauten, auf der anderen Straßenseite ummauerte oder von riesigen Hecken geschützte Villen. Weiter südlich, auf dem Weg zum Zentrum, überwogen dreistöckige Bauten. Kein Haus war wie das andere. Offenbar hatten die Stadtplaner für jedes Bauwerk einen anderen Architekten gewählt und jeden darüber im Unklaren gelassen, was die Kollegen verzapft hatten. Die Bürgersteige waren schmaler als in Deutschland und oftmals zur Straße abfallend. Immer wieder sah man eine Pferdewettenbar, einen Kiosk mit Kneipe, Restaurants, die tagsüber schlossen, kleine Supermärkte. Wir passierten eine Autowerkstatt, Waschcenter, Boulangerien. Dann ging es hinunter ins Quartier Hédas, dem in einer schmalen und länglichen Senke gelegenen Ausgehviertel für Studenten. Hier wurde Pau das erste Mal hübsch. Hier lag auch das Durango. Dann wieder bergan.
Der Halbitaliener wich nicht von Marines Seite.
„Was läuft im Durango für Musik?“
„Rock und Pop.“
„Cool. Ich mag Rock und Pop. Ich bin ein großer Rock- und Pop-Fan. Magst du auch Rock und Pop?“
„Ja.“ Was hätte sie auch sonst antworten sollen? Sie war unsere Tutorin, sie musste nett zu uns sein.
Ich lief neben Sebastian, der unentwegt jeden Stein fotografierte, aber mich deswegen zumindest nicht zwang, mit ihm Gespräche zu führen. Im Centre Bosquet, einem Einkaufszentrum, gab es eine Fnac-Filiale. Hier in der Innenstadt häuften sich teurere Geschäfte, Versicherungen, Banken. Nach einem Abstecher zum burgähnlichen Schloss Heinrich IV. mündete unsere Tour bei einem Café Crème im Café Russe auf dem Boulevard des Pyrénées. Vor uns lag das Gebirge, das Frankreich von Spanien trennte. Natürlich nahm mein Konkurrent neben Marine Platz. Ich erwischte den Platz auf ihrer anderen Seite.
„Es ist wirklich ein toller Blick hier. Wirklich toll.“ Im Grunde hatte er recht. Aber musste man über so etwas mit einer Frau reden? Wie einfallslos!
„Find ich auch“, stimmte ihm Marine pflichtschuldig zu.
„Da hast du wirklich was Tolles ausgesucht.“ Man konnte auch übertreiben. Den Boulevard steuerte doch jeder Tourist gleich am ersten Tag an.
„Mich erinnert das ein bisschen an Neapel, wo meine Mutter herkommt. Kennst du Neapel?“ Er fing an, ihr von Italien vorzuschwärmen. Ich kam gar nicht zu Wort. Dafür interessierte sich Sebastian nun wieder für mich:
„Findest du das nicht auch herrlich? Da kann man das Wohnheim gleich vergessen. Das ist Frankreich. C’est la vie.“
Der italobritische Flirtkönig wurde immer zudringlicher:
„Hast du italienische Vorfahren?“
„Nein, wieso?“
„Du siehst ein bisschen italienisch aus.“
„Wirklich? Echt?“
„So der Hauttyp. Und wegen deiner braunen Augen.“
„Meine Augen sind aber grün.“ Sie schaute verwundert.
„Aber sie sehen ziemlich braun aus.“ Sie hatte wirklich hübsche Augen. Und er ein hässliches T-Shirt: Cicieta Sportiva Calvio Napoli. Ich kam ja auch nicht mit einem Shirt von Hertha BSC.
Erst bei der Verabschiedung gelang es mir, mich bei Marine nach ihrer Handynummer zu erkundigen. „Falls ich noch Fragen zur Uni hab. Ich hab nämlich nicht alles verstanden vorhin“, log ich. Ich würde mich natürlich nicht sofort bei ihr melden, sondern ein paar Tage verstreichen lassen. Diese Zurückhaltung würde sich wohltuend abheben von der aufdringlichen Art meines Rivalen, der sich die Nummer ebenfalls notierte. Ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, dass er bei ihr Chancen hatte.

Ende der Woche mehr zum Café und am Dienstag dann der nächste Auszug vom Roman. 


Sonntag, 23. März 2014

Wohnheim Corisande d'Andoins: Innenansichten

Besonders luxuriös würden die zehn Monate nicht werden. Das war Markus sofort klar.

Ein Schreibtisch mit Fensterblick ...,
 ein schmales Bett ...,
 ein Waschbecken ...
 und ein Schrank (augenscheinlich nicht von Ikea) mussten als privater Rückzugsraum genügen.

 Gekocht wurde in der Etagenküche ...,



von der aus Markus sich vergewissen konnte, dass der andere Gebäudetrakt auch nicht besser aussah.

Nach dem Öffnen des Etagenkühlschranks zog es Markus meistens ...
hierin. Doch Vorsicht! Auf keinen Fall hinsetzen.

Am Dienstag kommt der nächste Romanauszug, in einer Woche gibt es wieder Kontextinformationen.



 
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