Stephan Serin



Chaussee der Enthusiasten

Mittwoch, 30. April 2014

Kapitel 8

Marine hatte tatsächlich zugesagt, als ich mich heute Morgen unter dem Vorwand bei ihr gemeldet hatte, ich hätte noch nicht verstanden, wie die administrative und die pädagogische Einschreibung abliefen und welche Kurse für mich in Frage kämen. Ihren Versuch, mir dies am Telefon zu erklären und ihren Vorschlag, sich dazu am Montagmittag in der Brasserie La Vague zu treffen, hatte ich erfolgreich abgeblockt. Stattdessen hatte ich sie dazu überreden können, sich mit mir heute Abend zu verabreden. Sie sollte mich um 21 Uhr mit ihrem Auto vom Wohnheim abholen. Wir wollten auf den Boulevard des Pyrénées. Bevor ich mich an die Avenue du Saragosse stellte, suchte ich noch mal die Toilette auf. Ich wollte nicht gleich nach unserer Ankunft gehen müssen. Vier Kabinen gab es im Erdgeschoss. Die ersten waren vollgeschissen. Vielleicht von den Indern, von denen es in jeder Etage mindestens einen gab und die ihren Müll über das ganze Wohnheim verteilten. Bei der dritten überwand ich mich. Ich musste ja nur pinkeln. Sonst hätte ich mir weiter oben etwas gesucht. Auf dem Weg nach draußen kam ich am Telefon vorbei, das mal wieder von Sebastian belegt war. Ich versuchte, ihn zu überhören. Ohne Erfolg:
„Ich liebe Dich. …
….
Ich dich auch
Mausiechen.
Du fehlst mir.
Ich vermisse dich auch.
Nein. Ich vermisse dich am meisten.“
Ich atmete durch, als die Tür zum Bâtiment B hinter mir ins Schloss fiel. Das Gesülze hörte ich nun den fünften Abend in Folge.
Vor den Treppen zum Bâtiment A hingen Mehdi und Rachid in ihren Trainingsanzügen ab und freuten sich, mich zu sehen:
„Allo, Marküs. Wiellst du meinen Puller luuutschen?“
„Euer Deutsch wird immer besser“, lobte ich sie auf Französisch.
Mehdi erkundigte sich erneut, ob es stimme, dass alle Deutschen schwul seien. Wir führten auch immer das gleiche Gespräch.
„Ja.“
„Willst du nachher mit uns und unserem Kumpel auf eine Party?“
„Kann nicht. Ich hab ein Date.“
„Ey, Marküs! Du gehst richtig ran.“ Ich hatte nun endgültig ihren Respekt erworben. Ich machte ein ironisches Victory-Zeichen und postierte mich an der Straße. Wer hätte gedacht, dass ich schon so früh zwischen zwei Optionen wählen durfte? Vielleicht gelang mir die Integration doch schneller als gedacht.
Gegenüber, auf der anderen Seite, stand der vierzehnstöckige Turm. Der beherbergte das Gros der US-amerikanischen Studenten. War das nach dem elften September politisch eigentlich noch korrekt? Vielleicht hatten die Franzosen das extra so eingerichtet, weil sie Amerikaner nicht leiden konnten.
Es war jetzt genau neun Uhr. Wo blieb Marine? Vielleicht sollte ich mir besser noch ein paar konkrete Fragen zur Uni überlegen, damit nicht sofort aufflog, dass ich mich eigentlich einfach nur so mit ihr treffen wollte. Sie sollte nicht glauben, ich wollte etwas von ihr. Wollte ich im Prinzip natürlich schon. Aber eine Weile beabsichtigte ich das noch vor ihr geheim zu halten, um nicht zu plump zu wirken. Natürlich würde ich die Chance ergreifen, sollte sich heute eine bieten. Allerdings mussten wir dann zu ihr gehen. Gestern Abend war eine Kakerlake durch mein Zimmer gehuscht. Wenig romantisch für die erste Nacht. Ein Golf näherte sich von links dem Wohnheim. Nein. Er fuhr weiter.
Welche Fragen wollte ich ihr noch mal stellen? Genau: administrative und pädagogische Einschreibung und Kurse. Das ergab: Muss ich mich zuerst administrativ immatrikulieren oder pädagogisch? Wo erfolgt die administrative und wo die pädagogische Immatrikulation? Würdest du mich begleiten? Nein, das kam zu hilflos rüber. Ich studiere Französisch und Politische Bildung, Welche Kurse würdest du mir empfehlen? Ich brauche insgesamt 60 Credits im Jahr? Wie viel sind die Kurse wert? Kann ich mir alle anerkennen lassen? Das reichte natürlich nicht. Zu trocken und zu unpersönlich. Der Peugeot hielt auch nicht, sondern bog in die Avenue du Loup ab. So würde der Übergang zu interessanteren Themen nicht gelingen. Entscheidend war der Transfer in die Bereiche Interessen und Geschmack. Wann wurde die Uni eigentlich erbaut? Und: Welche Gerichte gibt es in der Mensa? Isst du dort oft? Verdammt! Was hieß noch mal Gericht auf Französisch? Manchmal waren es gerade die einfachen Begriffe, die einem nicht einfielen. Ich hatte mein Wörterbuch vergessen. Das ging natürlich nicht. Ein Date ohne Wörterbuch war äußerst unklug, schließlich kam es auf die richtige Wortwahl an. Schnell rannte ich zurück. Code eingetippt. Falsch. Noch mal. Wieder falsch.
„47256“, rief Mehdi vom Bâtiment A rüber.
„Merci.“
Vorbei an Sebastian, der Josepha übers Telefon gerade Küsschen zukommen ließ, rein in mein Zimmer, Wörterbuch gegriffen, wieder raus, Tür abgeschlossen, an meinem Kommilitonen vorbei, der erneut einen Schmatzer durch die Leitung schickte - er kroch fast in den Hörer rein -, raus aus dem Gebäude, wieder zur Straße gesprintet. Eine Minute hatte mich die Aktion gekostet. Ob sie zwischenzeitlich gekommen war und schon wieder kehrtgemacht hatte, weil ich nicht vor dem Wohnheim gewartet hatte? Es war fünf nach neun. Zwanzig nach neun musste ich erneut auf Toilette. Verdammt. Das war die Aufregung. Ob ich meine arabischen Freunden bitten sollte, Marine zu benachrichtigen, dass ich nur mal kurz auf dem Klo sei? Besser nicht. Welchen Eindruck würde das hinterlassen, wenn die erste persönliche Information, die sie über mich erhielt, die war, dass ich noch auf dem Lokus weilte? Keinen besonders erotischen. Ich stürmte wieder los. Diesmal gab ich den Code sofort richtig ein. Ich eilte aufs WC. Von dort konnte ich Sebastian problemlos belauschen:
„Nein, du …
Nein, nicht ich, du …
Nein, leg du zuerst auf!“
Und wieder ging es zurück zum vereinbarten Treffpunkt. Meine Abwesenheit hatte nicht länger als 90 Sekunden gedauert. Hoffentlich war sie nicht gerade in dieser Zeit am Wohnheim vorbeigefahren.

Ob die 90 Sekunden Austreten 90 Sekunden zu lang waren, wird sich im weiteren Verlauf des Romans klären, ebenso, ob Sebastian oder Josepha zuerst auflegte. Da dies hier der letzte Vorabauszug auf dieser Seite war, muss man sich das Buch allerdings kaufen, leihen oder klauen, wenn man erfahren möchte, was Markus und seinem Kommilitonen noch passieren wird. Am 11. Juni gibt es jedenfalls um 19 Uhr 30 die Premiere von "Ziemlich schlechteste Freunde" im Badehaus. Bis dahin werde ich hier noch ein paar Hintergrundinformationen veröffentlichen und bald auch die Fragen zum Inhalt stellen, deren zügige und korrekte Beantwortung den Gewinn eines Buches ermöglicht. Das erspart Kauf, Leih und Klau.

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