Im Titel steht eigentlich schon fast alles Wichtige, aber hier noch mal kleingedruckt: Am 11. Juni (Mittwoch) feiere ich das Erscheinen meines ersten Romans, Ziemlich schlechteste Freunde, ab 19 Uhr 30 im Badehaus, also an bewährter Stelle. Wer in den letzten anderthalb Jahren bei der Chaussee der Enthusiasten war, der kennt den Weg. Die anderen mögen diese Link nutzen.
Eingeladen sind alle, die gerne sitzen, während man ihnen vorliest oder vorsingt, denn ich habe einen musikalischen Gast aus Frankreich an meiner Seite. Eingeladen sind aber auch die, die schon mal ein Erasmusjahr gemacht haben, denn darum geht es in meinem Roman. Und natürlich all diejenigen, die ab dem 12. Juni jeden Tag Fußball gucken müssen und in dieser Zeit zu keiner Lesung mehr werden gehen können. Also eigentlich richtet sich die Buchvorstellung an jeden. Ich freue mich darum auf euer Erscheinen.
Mittwoch, 28. Mai 2014
Dienstag, 13. Mai 2014
Buch gewinnen!
Das Ausrufezeichen macht es schon deutlich, dass es in diesem Post um etwas von Bedeutung geht. Diese Signalwirkung haben Ausrufezeichen so an sich. Wer die fünf Fragen zum Roman richtig beantwortet und mir die Antworten als Erster, Zweiter oder Dritter mailt (Adresse weiter oben), der gewinnt ein Exemplar von "Ziemlich schlechteste Freunde":
1. An welchem Datum lernt Markus
Sebastian kennen?
2. Wie heißt die in Deutschland gebliebene Freundin von Sebastian?
3. In welchem Wohnheim sind Markus und Sebastian untergebracht?
4. In welchen Zimmern wohnen Markus und
Sebastian?
5. Mit welcher Französin verabredet
sich Markus?
Eigentlich sind die Fragen viel zu leicht. Alles reine Wissensproduktion. Wahrscheinlich käme selbst ich auf die Lösung. Aber jeder, der lesen kann, soll eine Chance haben.
Eigentlich sind die Fragen viel zu leicht. Alles reine Wissensproduktion. Wahrscheinlich käme selbst ich auf die Lösung. Aber jeder, der lesen kann, soll eine Chance haben.
Sonntag, 11. Mai 2014
Université de Pau et des Pays de l'Adour
Die letzte Renovierung des einst prachtvollen Eingangsportals der Fakultät für Fremdsprachen, Literaturwissenschaft, Humanwissenschaft und Sport liegt schon eine Weile zurück, möglicherweise, weil das Geld in der Hauptstadt gebraucht wird.
Vielleicht sind die Sitzecken im Hof der Fakultät deshalb nicht gepolstert.
Wenigstens gibt es Café- und Snackautomaten.
Die 60 Erasmus-Credits schafft man auch ohne den Besuch der Uni-Bibliothek.
Wichtiger ist eine ausgewogene Ernährung in der Mensa, ...
... die nur in den Semesterferien so leer ist wie auf diesem Photo.
Das gleiche gilt für die Seminarräume ...
... und die seltsam schiefen Flure.
Schade eigentlich. Gerade, wenn niemand da ist, würde man ja gerne auch jemanden treffen. So einsam hat sich Markus noch oft gefühlt, auch wenn faktisch gesehen mehr Leute um ihn rumstanden.
Dienstag, 6. Mai 2014
Erasmus-Soundtrack
Jede Zeit hat ihren Soundtrack.
Nicht immer ist es der beste. Manchmal liegt das auch daran, was die Menschen
hören, in deren Gesellschaft man sich aufhält. Obwohl er selbst CDs von Pavement, Tocotronic und Radiohead mit nach Frankreich brachte, würde Markus auf die Frage,
welche zehn Songs das Jahr in Pau am meisten geprägt haben, wohl
folgende nennen:
1. Alain Souchon: Sous les jupes de filles (Sebastians Lieblingslied)
2. Noir Désir: Le vent nous portera
3. Zazie : Rue de la paix
4. Manu Chao : Me gustas tu
5. Zazie + Axel Bauer : A ma place
6. Weezer : Island in the sun
7. Scorpions: Wind of change (wegen
der Marokkaner im Wohnheim)
8. The Streets: Stay positive (wegen Bernard Lenoir)
9. Zebda: Motivé (wegen Jean Marie Le Pen)
10. Serge Gainsbourg: Je suis venu te dire que je m’en vais (wegen Eva)
Sonntag, 4. Mai 2014
Telefonate mit der Freundin in der Heimat ...
werden nicht von allen mit so viel Leidenschaft geführt wie von Sebastian. Deutlich repräsentativer scheinen mir doch die Probleme zu sein, von denen Buffalo berichtet, der sich bereits nach kurzer Zeit Fernbeziehung in Forum Planet Liebe Rat suchen muss, weil er einfach nicht mehr weiß, worüber er mit seiner Freundin noch reden könnte ("Über was redet ihr den stundenlang? ... Manchmal gehen mir die Ideen aus."). Verständlich, kann man doch übers Telefon weder gemeinsam Filme anschauen noch den anderen anfassen, um so die Phasen der Sprachlosigkeit zu überbrücken. Wenig überraschend hingegen, dass vor allem weibliche Forumsteilnehmer konstruktiv an der Lösung dieser thematischen Flaute mitwirken, während der vermutlich einzige andere männliche Ratgeber eine Empfehlung gibt, die intuitiv die richtige zu sein scheint: "Wenn nix zu reden ist, wird eben nicht geredet und man geht wieder seinem Leben neben der Freundin nach". Aber wahrscheinlich sollte man sich doch besser nicht von Intuition leiten lassen, sondern den Frauen vertrauen, damit sich das Wiedersehen so inbrünstig gestaltet wie in diesem Video. Ob sich Sebastian Josepha Weihnachten auch noch so in die Arme werfen wird? Die Zukunft wird es zeigen.
Mittwoch, 30. April 2014
Kapitel 8
Marine
hatte tatsächlich zugesagt, als ich mich heute Morgen unter dem Vorwand bei ihr
gemeldet hatte, ich hätte noch nicht verstanden, wie die administrative und die
pädagogische Einschreibung abliefen und welche Kurse für mich in Frage kämen.
Ihren Versuch, mir dies am Telefon zu erklären und ihren Vorschlag, sich dazu
am Montagmittag in der Brasserie La Vague zu treffen, hatte ich erfolgreich
abgeblockt. Stattdessen hatte ich sie dazu überreden können, sich mit mir heute
Abend zu verabreden. Sie sollte mich um 21 Uhr mit ihrem Auto vom Wohnheim
abholen. Wir wollten auf den Boulevard
des Pyrénées. Bevor ich mich an die Avenue du Saragosse stellte, suchte ich noch mal die Toilette
auf. Ich wollte nicht gleich nach unserer Ankunft gehen müssen. Vier Kabinen
gab es im Erdgeschoss. Die ersten waren vollgeschissen. Vielleicht von den
Indern, von denen es in jeder Etage mindestens einen gab und die ihren Müll
über das ganze Wohnheim verteilten. Bei der dritten überwand ich mich. Ich
musste ja nur pinkeln. Sonst hätte ich mir weiter oben etwas gesucht. Auf dem
Weg nach draußen kam ich am Telefon vorbei, das mal wieder von Sebastian belegt
war. Ich versuchte, ihn zu überhören. Ohne Erfolg:
„Ich
liebe Dich. …
….
Ich
dich auch
…
Mausiechen.
…
Du
fehlst mir.
…
Ich
vermisse dich auch.
…
Nein.
Ich vermisse dich am meisten.“
Ich
atmete durch, als die Tür zum Bâtiment
B hinter mir ins Schloss fiel. Das Gesülze hörte ich nun den fünften
Abend in Folge.
Vor
den Treppen zum Bâtiment A hingen
Mehdi und Rachid in ihren Trainingsanzügen ab und freuten sich, mich zu sehen:
„Allo,
Marküs. Wiellst du meinen Puller luuutschen?“
„Euer
Deutsch wird immer besser“, lobte ich sie auf Französisch.
Mehdi
erkundigte sich erneut, ob es stimme, dass alle Deutschen schwul seien. Wir
führten auch immer das gleiche Gespräch.
„Ja.“
„Willst
du nachher mit uns und unserem Kumpel auf eine Party?“
„Kann
nicht. Ich hab ein Date.“
„Ey,
Marküs! Du gehst richtig ran.“ Ich hatte nun endgültig ihren Respekt erworben.
Ich machte ein ironisches Victory-Zeichen und postierte mich an der Straße. Wer
hätte gedacht, dass ich schon so früh zwischen zwei Optionen wählen durfte?
Vielleicht gelang mir die Integration doch schneller als gedacht.
Gegenüber,
auf der anderen Seite, stand der vierzehnstöckige Turm. Der beherbergte das
Gros der US-amerikanischen Studenten. War das nach dem elften September
politisch eigentlich noch korrekt? Vielleicht hatten die Franzosen das extra so
eingerichtet, weil sie Amerikaner nicht leiden konnten.
Es
war jetzt genau neun Uhr. Wo blieb Marine? Vielleicht sollte ich mir besser
noch ein paar konkrete Fragen zur Uni überlegen, damit nicht sofort aufflog,
dass ich mich eigentlich einfach nur so mit ihr treffen wollte. Sie sollte
nicht glauben, ich wollte etwas von ihr. Wollte ich im Prinzip natürlich schon.
Aber eine Weile beabsichtigte ich das noch vor ihr geheim zu halten, um nicht
zu plump zu wirken. Natürlich würde ich die Chance ergreifen, sollte sich heute
eine bieten. Allerdings mussten wir dann zu ihr gehen. Gestern Abend war eine
Kakerlake durch mein Zimmer gehuscht. Wenig romantisch für die erste Nacht. Ein
Golf näherte sich von links dem Wohnheim. Nein. Er fuhr weiter.
Welche
Fragen wollte ich ihr noch mal stellen? Genau: administrative und pädagogische
Einschreibung und Kurse. Das ergab: Muss ich mich zuerst administrativ
immatrikulieren oder pädagogisch? Wo erfolgt die administrative und wo die
pädagogische Immatrikulation? Würdest du mich begleiten? Nein, das kam zu
hilflos rüber. Ich studiere Französisch und Politische Bildung, Welche Kurse
würdest du mir empfehlen? Ich brauche insgesamt 60 Credits im Jahr? Wie viel
sind die Kurse wert? Kann ich mir alle anerkennen lassen? Das reichte
natürlich nicht. Zu trocken und zu unpersönlich. Der Peugeot hielt auch nicht,
sondern bog in die Avenue du Loup
ab. So würde der Übergang zu interessanteren Themen nicht gelingen.
Entscheidend war der Transfer in die Bereiche Interessen und Geschmack. Wann
wurde die Uni eigentlich erbaut? Und: Welche Gerichte gibt es in der
Mensa? Isst du dort oft? Verdammt! Was hieß noch mal Gericht auf
Französisch? Manchmal waren es gerade die einfachen Begriffe, die einem nicht
einfielen. Ich hatte mein Wörterbuch vergessen. Das ging natürlich nicht. Ein
Date ohne Wörterbuch war äußerst unklug, schließlich kam es auf die richtige
Wortwahl an. Schnell rannte ich zurück. Code eingetippt. Falsch. Noch mal.
Wieder falsch.
„47256“,
rief Mehdi vom Bâtiment A
rüber.
„Merci.“
Vorbei
an Sebastian, der Josepha übers Telefon gerade Küsschen zukommen ließ, rein in
mein Zimmer, Wörterbuch gegriffen, wieder raus, Tür abgeschlossen, an meinem
Kommilitonen vorbei, der erneut einen Schmatzer durch die Leitung schickte - er
kroch fast in den Hörer rein -, raus aus dem Gebäude, wieder zur Straße
gesprintet. Eine Minute hatte mich die Aktion gekostet. Ob sie zwischenzeitlich
gekommen war und schon wieder kehrtgemacht hatte, weil ich nicht vor dem
Wohnheim gewartet hatte? Es war fünf nach neun. Zwanzig nach neun musste ich
erneut auf Toilette. Verdammt. Das war die Aufregung. Ob ich meine arabischen
Freunden bitten sollte, Marine zu benachrichtigen, dass ich nur mal kurz auf
dem Klo sei? Besser nicht. Welchen Eindruck würde das hinterlassen, wenn die
erste persönliche Information, die sie über mich erhielt, die war, dass ich
noch auf dem Lokus weilte? Keinen besonders erotischen. Ich stürmte wieder los.
Diesmal gab ich den Code sofort richtig ein. Ich eilte aufs WC. Von dort konnte
ich Sebastian problemlos belauschen:
„Nein,
du …
…
Nein,
nicht ich, du …
…
Nein,
leg du zuerst auf!“
Und
wieder ging es zurück zum vereinbarten Treffpunkt. Meine Abwesenheit hatte
nicht länger als 90 Sekunden gedauert. Hoffentlich war sie nicht gerade in
dieser Zeit am Wohnheim vorbeigefahren.
Ob die 90 Sekunden Austreten 90 Sekunden zu lang waren, wird sich im weiteren Verlauf des Romans klären, ebenso, ob Sebastian oder Josepha zuerst auflegte. Da dies hier der letzte Vorabauszug auf dieser Seite war, muss man sich das Buch allerdings kaufen, leihen oder klauen, wenn man erfahren möchte, was Markus und seinem Kommilitonen noch passieren wird. Am 11. Juni gibt es jedenfalls um 19 Uhr 30 die Premiere von "Ziemlich schlechteste Freunde" im Badehaus. Bis dahin werde ich hier noch ein paar Hintergrundinformationen veröffentlichen und bald auch die Fragen zum Inhalt stellen, deren zügige und korrekte Beantwortung den Gewinn eines Buches ermöglicht. Das erspart Kauf, Leih und Klau.
Ob die 90 Sekunden Austreten 90 Sekunden zu lang waren, wird sich im weiteren Verlauf des Romans klären, ebenso, ob Sebastian oder Josepha zuerst auflegte. Da dies hier der letzte Vorabauszug auf dieser Seite war, muss man sich das Buch allerdings kaufen, leihen oder klauen, wenn man erfahren möchte, was Markus und seinem Kommilitonen noch passieren wird. Am 11. Juni gibt es jedenfalls um 19 Uhr 30 die Premiere von "Ziemlich schlechteste Freunde" im Badehaus. Bis dahin werde ich hier noch ein paar Hintergrundinformationen veröffentlichen und bald auch die Fragen zum Inhalt stellen, deren zügige und korrekte Beantwortung den Gewinn eines Buches ermöglicht. Das erspart Kauf, Leih und Klau.
Sonntag, 27. April 2014
Das Méliès und Le Pornographe
Groß war die Auswahl für Cineasten im Jahr 2001 nicht, wenn sie in Pau einen guten Film sehen wollten. Es gab das Cinéma Mega CGR gegenüber vom Campus, wo Markus und Sebastian immer vorbeikamen, wenn sie zur Uni gingen oder zurück ins Wohnheim. Zwar zierten die Namen der wichtigsten Regisseure der Kinogeschichte die Stufen der Freitreppe vor dem Multiplex, aber Werke von Godard, von Orson Welles, von Alfred Hitchcock oder von Akira Kurosawa würden dort nie laufen. Als einziges Programmkino der Stadt blieb für den Helden des Romans somit nur das Méliès, das er auch im Laufe seines Aufenthaltes noch unzählige Male alleine aufsuchen sollte.
Das Programmheft für die Zeit vom 19. September und 16. Oktober 2001 hatte folgendes Cover:
Am 28. September, dem Tag der für Markus so frustrierenden Erasmusparty, liefen außerdem noch:
- "Dieu est grand, je suis tout petite" von Pascale Bailly
- "The Pledge" von Sean Penn
- "2001: A Space Odyssey" von Stanley Kubrick
- "Le Lait de la tendresse" von Dominique Cabrera
- "La Pianiste" von Michael Haneke
- "Queenie In Love" von Amos Kollek und
- "No Man's Land" von Danis Tanovic
Aber eben nicht in der Spätvorstellung. Und wenn doch, dann hatte Markus das schon gesehen. So nahm er mit Le Pornographe vorlieb, bei dem einem schon der Gesichtsausdruck von Jean Pierre Léaud im Trailer eine Warnung sein musste, dass hier tonnenschwere Sinnkrisen verhandelt wurden:
Das Programmheft für die Zeit vom 19. September und 16. Oktober 2001 hatte folgendes Cover:
- "Dieu est grand, je suis tout petite" von Pascale Bailly
- "The Pledge" von Sean Penn
- "2001: A Space Odyssey" von Stanley Kubrick
- "Le Lait de la tendresse" von Dominique Cabrera
- "La Pianiste" von Michael Haneke
- "Queenie In Love" von Amos Kollek und
- "No Man's Land" von Danis Tanovic
Aber eben nicht in der Spätvorstellung. Und wenn doch, dann hatte Markus das schon gesehen. So nahm er mit Le Pornographe vorlieb, bei dem einem schon der Gesichtsausdruck von Jean Pierre Léaud im Trailer eine Warnung sein musste, dass hier tonnenschwere Sinnkrisen verhandelt wurden:
Dienstag, 15. April 2014
Kapitel 7/2
Die Erasmus-Party war kein Erfolg, also ging es für Markus allein zurück ins Wohnheim, wenn auch mit Zwischenstopp.
Bis
zum Wohnheim waren es bestimmt 45 Minuten. Vor dem Méliès, Paus
einzigem Programmkino, einem grauen Gebäude, optisch eine Mischung
aus Anglikaner-Kirche und Parkhaus, warteten etwa ein Dutzend Leute.
Die Spätvorstellungen hatten noch nicht begonnen. „No man’s
land“ von Danis
Tanović in Kino 1
und in Kino 2 „Le pornographe“ von Bertrand Bonello. Den
bosnischen Streifen hatte ich vor zwei Tagen bereits mit Sebastian
gesehen. Es war erst dreiviertel elf. Ich wollte eigentlich nach
dieser frustrierenden Party nicht schon zurück ins Wohnheim.
Andererseits, wie verzweifelt war das denn, wenn ich in einen Film
ging, der „Der Pornograph“ hieß? Die meisten Besucher waren
sicherlich wegen „No man's land“ hier. Mit wem würde ich mir den
Saal teilen müssen? Mit einer Handvoll alleinstehender Männer, die
ihre besten Jahre schon hinter sich hatten und gar nicht mehr
wussten, wie man Sex überhaupt schrieb? Andererseits bewiesen die
Fotos im Schaukasten: Es gab in „Le pornographe“ tatsächlich
Nacktszenen. Wann hatte ich das letzte Mal eine weibliche Person
unbekleidet gesehen? Ich stellte mich erstmal an. Vorsorglich. Einen
Rückzieher konnte ich immer noch machen. Am Ticketschalter saß eine
Frau. Bei ihr hätte ich meinen Ruf als Perverser mit Sicherheit weg.
Gerade eine Woche in der Stadt und schon das erste Mal in einem
Pornofilm. Warum zeigte man den eigentlich in einem Programmkino? Vor
mir stand ein mittelalter Herr. Der wollte bestimmt auch dahin. Er
entsprach dem Bild, das ich mir von Besuchern eines Puffs machte:
klein, bebrillt und glatzköpfig, also ich in zwanzig Jahren. Seit
meiner Ankunft vor einigen Tagen fielen mir die Haare aus. Roch er
nicht auch seltsam? Wahrscheinlich würde er während der Vorführung
heimlich onanieren. Sicher war ich gleich umringt von sexuell
frustrierten, bemitleidenswerten Kerlen aus dem unteren
Attraktivitätssegment, die alle, sobald auf der Leinwand die erste
Brustwarze zu sehen war, synchron ihr Glied hervorholten.
Wenigstens
stand ich hinter dem Typen. Am Schalter konnte ich sagen: Ich
nehme das gleiche. So würde das Pärchen nach mir nicht
erfahren, was ich mir ansah. Es reichte, wenn ich bei der
Ticketverkäuferin auf die schwarze Liste kam. Sollte ich mir noch
schnell eine Erklärung für sie zurechtlegen, falls sie mich zur
Rede stellte und wissen wollte, wieso ich einen so schweinischen Film
schaute? ‚No man’s land‘ habe ich schon gesehen, darum gehe
ich heute in einen Erotikfilm. Oder: Mich interessiert nur die
Handlung. Bei den Sexszenen gucke ich nicht hin.
Mist!
Gleich war ich an der Reihe. Selbst wenn sie sich nichts anmerken
lassen würde, ihren Teil denken würde sie sich in jedem Fall. Jetzt
bestellte der Typ vor mir: „Deux fois ‚No man’s land‘.“
Damit hatte ich nicht gerechnet. Nicht nur, dass er eine Begleitung
hatte, er wählte auch noch den anderen Film! Jetzt konnte ich nicht
mal das gleiche nehmen.
Ich trat zur Seite und ließ das Pärchen vor. Sie wollten ebenfalls
zu Tanović.
Ich ließ noch einen Besucher vor. Auch der wollte in „No man’s
land“, obwohl er ebenfalls gut zum anderen Film gepasst hätte. Ich
gab mir einen Ruck.
„Un
billet pour l’autre film. – Eine Karte für den anderen Film“,
murmelte ich.
„Den
anderen Film?“, wunderte sich die Frau an der Kasse. „Kino 2“,
flüsterte ich.
„Also
einmal ‚Le pornographe‘?“, vergewisserte sie sich für alle
vernehmbar. Ich wäre am liebsten vor Scham im Erdboden versunken.
Sie musterte mich spöttisch. Erwartete sie, dass ich ihr versprach,
nicht zu onanieren?
„Da
sind aber Nacktszenen drin“, warnte sie.
„Ach
so …“, stammelte ich. „Äh, ja ... wieso? Wieso sagen Sie mir
das?“
„Bist
du denn schon achtzehn?“, musterte sie mich streng.
„Äh,
ja. Dreiundzwanzig.“
„Kannst
du mir deinen Schülerausweis zeigen?“
„Meinen
Schülerausweis? Wieso?“
„War
nur ein Spaß.“ Sie lachte. „Der Film braucht dir nicht peinlich
zu sein. Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern.“
„Das
ist mir nicht peinlich“, stritt ich alles ab.
Ich
erhielt meine Karte und trat zur Seite. Der Frau hinter mir erklärte:
„Ich möchte auch in den Film, in den der junge Mann vor mir
möchte. Ich bin aber schon über 18. Hier mein Seniorenticket.“
Ich
flüchtete in den Kinosaal, in dem das Publikum deutlich weniger
homogen war, als ich befürchtet hatte. Ich befand mich nicht
ausschließlich in Gesellschaft solo erschienener männlicher
Besucher zwischen 40 und 50 im Singlestatus, sondern eines gemischten
Publikums. Es gab Männer um die 30, es gab Frauen und sogar Pärchen.
Und „Le pornographe“ war entgegen meiner Erwartung auch kein
Sexfilm, sondern die Geschichte eines alternden Pornoregisseurs in
einer Sinn- und Schaffenskrise. Einerseits war ich erleichtert,
andererseits auch irgendwie enttäuscht, denn die wenigen Nacktszenen
waren nicht wirklich erotisch. Sie zeigten den Protagonisten dabei,
wie er daran scheiterte, eine gute Sexszene zu drehen. Bevor man als
Zuschauer in Stimmung kam, kleideten sich die Darsteller wieder an.
Die meiste Zeit lief der Regisseur mit in den Hosentaschen
vergrabenen Händen und tiefen Furchen auf der Stirn über die
Leinwand und gab banale, sinnfreie Sprüche von sich, die seiner
Midlife-Crisis sprachlich Ausdruck verleihen sollten. Selbst wenn ich
vorgehabt hätte zu onanieren, hätte ich es nicht geschafft. Es war
so langweilig und künstlich. Ich verließ den Film schon kurz vor
dem Ende. Wenige Minuten nach eins erreichte ich das Wohnheim.
„Ah,
Marküs. Iiieesch bin kaput. Wiielst du meinen Puller lutschen?“
Rachid saß kiffend auf seinem Fensterbrett im zweiten Stock vom
Bâtiment A. Aus seinem Zimmer schallte französischer Hip-Hop ins
Freie. Ob er sich irgendwann merken würde, dass man meinen Namen
nicht Marküs aussprach? Ich hatte es ihm bestimmt schon fünfmal
gesagt.
„Wo
warst du?“, fragte er.
„In
einem Pornofilm.“
Er
musste lachen. Er hielt alles, was ich sagte, für einen Witz. Dabei
war mein Abend gar nicht lustig gewesen, sondern total ernüchternd.
Ich
winkte noch einmal, dann tippe ich meinen Code ein. Als ich die Tür
geöffnet hatte, platzte mir fast das Trommelfell. Jemand
telefonierte.
Afo
bu mgbe onye ha na kpo huru ebe hé liri Tutankhamun ... Es war
nicht Sebastian, sondern meine schwarzafrikanische Nachbarin im
blauen Jogginganzug. Sie feuert ihre Syntaxkaskaden nicht nur in
einer Lautstärke ab, die die dünnen Gemäuer des Wohnheims
erzittern ließ, sondern auch in einer Geschwindigkeit, die es mir
unmöglich machte zu erkennen, ob sie Französisch, Englisch oder
irgendeinen afrikanischen Dialekt sprach. Wahrscheinlich letzteres.
Warum telefonierte sie um diese Zeit? Gab es eine Zeitverschiebung?
Und warum schrie sie so? War die Verbindung so schlecht? Oder stritt
sie sich mit ihrem Freund daheim? Ich ging auf Toilette, dann auf
mein Zimmer. Der Abend war ein totaler Reinfall. Vielleicht sollte
ich doch langsam mal Marine anrufen. Vielleicht hatte der
Italoengländer sich heute mit ihr getroffen. Vielleicht war er
deswegen nicht erschienen.
Weiter geht es am Wochenende.
Sonntag, 13. April 2014
Erasmuspartys ...
... werden in der Regel von Erasmusstudenten bestritten, die leider meistens gute Laune haben (sonst gibt es ja nichts für sie zu tun), so wie die hier, die hier, die hier oder die hier und sich genötig sehen, ihrer Bombenstimmung dadurch Ausdruck zu verleihen, dass sie in jede Kamera grinsen und dabei im Wechsel den rechten, den linken oder manchmal gar beide Daumen in die Höhe recken. Wenig Platz bleibt da für andere Töne, zum Beispiel Death of a party von Blur, das Markus Schwierigkeiten, sich unter den Feiernden in der Rue d'Etigny wohl zu fühlen, emotional eher entsprochen hätte. Hätte er sich vorher Rat bei Marie Dubuque geholt, dann hätte er zumindest seinen Abgang womöglich souveräner hinbekommen. Aber damals besaß Markus auch noch kein Handy.
Am Dienstag weiter im Text in einer Woche weitere Hintergrundinfos.
Am Dienstag weiter im Text in einer Woche weitere Hintergrundinfos.
Dienstag, 8. April 2014
Kapitel 7/1
Das
englische Pärchen war auch erschienen. Die beiden hielten wie an der
journée d'accueil Händchen. Und dann noch ein paar von den
Deutschen, die ich vor vier Tagen ebenfalls vor der Présidence
gesehen hatte. Und die beiden Frauen mediterranen Typs, die ich
geografisch in Portugal verortet hatte. Die anderen, die im Kreis auf
dem Boden in der Mitte des Raumes saßen, sah ich zum ersten Mal.
Auch die, die an den Seiten standen. Aus allen Richtungen spanische
Wortfetzen. Wo waren die Franzosen? Waren überhaupt welche hier?
Warum war ich eigentlich hier? Um nicht wieder mit Sebastian ins Kino
gehen zu müssen. Im Hintergrund lief Manu Chao. Eigentlich hätte
ich mir denken können, dass bei einer Erasmusparty zu Beginn des
Jahres Franzosen Mangelware waren. Andererseits war es auch nicht
ausgeschlossen, dass jemand Marine eingeladen hatte. Schließlich
hatte sie mehrere von uns über den Campus und durch Pau geführt.
Ich schaute mich vergeblich nach ihr um.
„Ich
muss mal kurz telefonieren“, entschuldigte sich Sebastian. „Bin
gleich wieder da.“
Ich
machte mich auf die Suche nach dem Büffet. In der verwaisten Küche
wurde ich fündig. Desperados-Bier, Orangensaft, Cola, Wasser
und Chips. Ich goss mir eine Cola in einen weißen Plastebecher und
nahm auf einem schwarzen Klappstuhl Platz. Die Luft war
zigarettenrauchgeschwängert.
Eine
Blondine in türkisfarbenem Oberteil und blauem Jeansrock betrat den
Raum und machte sich an der Cola-Flasche zu schaffen. Sie war hübsch,
vermutlich keine Spanierin. Ich versuchte mein Glück:
„Je
peux te recommander les chips. Ils sont excellents.“ Waren
Chips im Französischen eigentlichen männlich?
„Merci.“
Sie lächelte.
„Tu
viens d’où?“
„D’Allemagne.“
„Ah!“
Mein Interesse erlosch augenblicklich.
„Und
woher?“, wechselte ich ins Deutsche.
„Aus
Hamburg.“
„Ich
bin aus Berlin.“
Ich
hatte keine weiteren Fragen parat, was vielleicht auch an meiner
fehlenden Motivation lag. Zum Glück bekamen wir Gesellschaft. Eine
etwas mollige Frau mit braungelockten, schulterlangen offenen Haaren
erschien im Türrahmen. Genau. Ich kannte sie von der journée
d'accueil.
„Bringst
du noch für Joaquim ein Bier mit?“
„Okay.“
Die
Blonde griff sich eine Flasche und sie verschwanden wieder aus der
Küche. Im Wohnzimmer wurde die Musik lauter. Irgendwas Spanisches.
Ich erhob mich von meinem Stuhl und erhielt erneut Besuch. Ein
bisschen zu dünn für meinen Geschmack, aber ein ausgesprochen
hübsches Gesicht, große Augen, lange Wimpern und eine kleine Nase.
„Tu
fuis la musique?“
„Como?“
„Est-ce
que tu fuis la musique?“, wiederholte ich laut und deutlich.
„He
ne comprenn pas.“
„Tu
es d’où?“
„Qu’est-ce
quä çä?“ Das war ja wie in der
Bankfiliale. Ich wechselte zu Spanisch. Zum Glück hatte ich das vor
Jahren mal ein halbes Jahr an der Volkshochschule gelernt.
„Donde
estas?“
„Zaragoza.”
„Ah,
Zaragoza!”, tat ich begeistert.
„Conoces
Zaragoza?”
Ich
kannte Zaragoza nicht, erklärte aber, dass ich mal gelesen hätte,
wie schön die Stadt sei. Sie erfuhr, dass ich aus Berlin kam. Sie
war ebenfalls begeistert und bot mir an, ich könne sie mal besuchen
kommen. Sie stand sehr dicht und streichelte mir über den Arm.
Eigentlich wollte ich Französisch lernen. Mit ihr würde das nichts
werden. Andererseits, eine kleine Affäre zu Beginn mit einer
Spanierin, solange ich noch keine Französin kannte? Was sprach
dagegen? Auf Marine konnte ich mich vielleicht nicht verlassen.
Sie
griff sich eine Bier. „Quieres bailar?“ Bailar hieß tanzen. Ich
folgte ihr. Der Sitzkreis im Wohnzimmer hatte sich an die Wände
verzogen. In der Mitte hatten die ersten angefangen, ihren Körper
zur Musik zu bewegen. Haschischrauch hüllte mich ein. Vielleicht
konnte man auch so bekifft werden.
„Como
te llamas?”, wollte sie wissen.
„Markus.
Como te llamas?“
„Jana.“
Sie
streichelte mir erneut über den Arm, dann über den Kopf und
gesellte sich zu den Tanzenden in der Mitte. Die Musik kannte ich
nicht. Aber wen aus Spanien kannte ich schon außer Héroes del
Silencio? Offenbar gab es auf der iberischen Halbinsel auch noch
andere Bands. Jana konnte sich eigentlich ganz gut bewegen. Sie
forderte mich mit der Hand auf, zu ihnen zu kommen. Eigentlich tanzte
ich nicht so gerne. Vor allen Dingen nicht, wenn mich jemand dabei
beobachtete, von dem ich vielleicht etwas wollte. Aber vielleicht
sollte ich mal über meinen Schatten springen und interkulturelle
Kompetenz zeigen. Ich bewegte mich wippend auf den Menschenhaufen in
der Mitte zu. Zum Glück war das Lied schnell zu Ende.
Wieder
streichelte mir Jana über den Arm.
„Markus,
esto es Manuel. Mi amigo“, deutete sie auf ihren Tanzpartner, einen
Typen mit Hawaiihut und behaarten Armen. Auch wenn mein Spanisch
schlecht war, den Schlüsselbegriff hatte ich verstanden: mi
amigo.
„Manuel,
esto es Markus. Es de Berlin.“
Manuel
klapste mir anerkennend auf die Schulter. Waren sie auf einen Dreier
aus? Sicher nicht. Was für eine Demütigung. Sollte ich Jana
erklären, dass ich sowie nichts von ihr wollte? Dass ich mich nur
für Französinnen interessierte? Der nächste Song begann. Ich
tanzte mich vorsichtig wieder aus dem Zentrum des Geschehens und
landete am Fenstersims, auf dem eine dunkelblonde, schlanke Studentin
in weißem Oberteil eine SMS in ihr Handy tippte.
„Salut!“,
sprach ich sie an.
„Hola?“
„Tu
viens aussi de l’Espagne?“
„He
ne comprenne pas.“
„Donde
estas?“
„De
Zaragoza.“
Hier
schien heute eine ganze Reisegruppe aus Saragossa versammelt zu sein.
Ich rief erneut meine gespielte Begeisterung ab, sie schwärmte für
Berlin. Wir luden uns gegenseitig ein. Sie kam mir immer näher,
streichelte mir über den Arm, berührte mehrmals meine Hand. Ich war
schon fast erregt, dann kam ihr Freund zurück.
„Markus.
Es Jorge. Mi amigo.“
Ich
wollte weg. „Donde
esta el toilette?“
„El
toilette?“ Toilette war wohl doch kein international gebräuchlicher
Begriff. „Busca mi
amiga“, log ich. Wo war eigentlich
Sebastian? Telefonierte er immer noch? Wenn man ihn mal brauchte, war
er nicht zur Stelle. Auch nicht, als ich von der Toilette wieder
zurück war. Wen kannte ich eigentlich noch? Nur noch das englische
Pärchen. Ich ließ mich neben beiden auf der Matratze nieder.
„Ça
va?“
„Oui,
ça va. Et toi?“
Wenigstens
verstanden sie Französisch.
„Alors,
qu’est-ce que vous avez fait ces derniers jours?“ Sie
schauten mich fragend an. Okay. Sie verstanden also doch kein
Französisch. Immer mehr tanzten. Einige barfuß.
„Do
you always hold hands?“, fragte ich scherzend. Sie konnten über
meine Bemerkung nicht lachen.
„Not
always.“
„Were
is the other English boy? The one with the Italian mother?” Sie
wussten es nicht. Wahrscheinlich traf er sich bereits mit Marine. Er
hatte es richtig gemacht. Hier waren nur Pärchen und Deutsche. Und
nicht eine einzige Französin. Ich hätte nicht herkommen, sondern
lieber auf meinem Zimmer Radio hören sollen. Ich stand auf, um
Sebastian zu suchen. Im Flur drängelte ich mich an den beiden
Deutschen von vorhin aus der Küche vorbei, die sich gerade mit
Joaquim und einem anderen Spanier auf Englisch zu einem Ausflug ins
Baskenland verabredeten. In der Küche war Sebastian auch nicht. Auch
nicht im anderen Zimmer, wo Engländer und Studenten mir unbekannter
Nationalität ebenfalls Pläne für gemeinsame Aktivitäten
schmiedeten. Dann würde ich eben alleine gehen. Ich konnte ja nicht
ewig warten. Ich griff meine Jacke, meinen Rucksack und stieg die
Treppe hinab. Draußen war es noch angenehm warm. Gegenüber sah ich
Sebastian in einer Telefonzelle. Er bemerkte mich nicht. Ich machte
mich auf den Heimweg. Um die Erasmusstudenten musste ich zukünftig
unbedingt einen Bogen machen. Wenn ich mich mit denen anfreundete,
würde ich nie eine Französin kennenlernen und meine
Sprachkenntnisse verbessern, weil ich mit ihnen ständig nach Bilbao
und Saragossa fahren und Partys würde feiern müssen. Wahrscheinlich
würde sich mein Französisch sogar verschlechtern. Ich musste es
alleine schaffen. Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, als
Paar nach Frankreich zu gehen oder mit einem Landsmann in eine WG zu
ziehen?
Ende der Woche mehr dazu, wie eine Erasmusparty abläuft und was Markus vielleicht hätte anders machen sollen.
Sonntag, 6. April 2014
Wenn Franzosen versuchen, Englisch zu sprechen ...
... klingt das nicht immer so schrecklich wie beim Caisse d'Epargne-Angestellten, an den Markus geriet. Es gibt auch Menschen westlich vom Rhein, die die Sprache Shakespeares deutlich besser beherrschen, wie man in diesem Video sieht. Aber hier zeigt sich auch nur wieder, wie wichtig das frühkindliche Erlernen von Fremdsprachen ist.
Am Dienstag kommt der nächste Roman-Auszug, in einer Woche mehr zu den Hintergründen.
Am Dienstag kommt der nächste Roman-Auszug, in einer Woche mehr zu den Hintergründen.
Dienstag, 1. April 2014
Kapitel 6
Zwei Tage
später hatte ich Marine noch nicht angerufen, dafür aber mein Zimmer halbwegs
eingerichtet. Ich besaß nun einen Teller, eine Tasse, Besteck, einen Topf, ein
paar Lebensmittel und Toilettenpapier. Und ich hatte mir bei E.Leclerc, einem riesigen Supermarkt gegenüber vom Campus,
einen CD-Player mit Radio besorgt, um so lange, wie ich noch keine Französin
datete, zumindest mein passives Französisch zu trainieren. Dazu kam noch die
Ausgabe für die tägliche Lektüre der L’équipe und von Le monde.
Frankreich war teuer. Ich musste Geld abheben. Natürlich nicht allein.
Sebastian war mir seit unserer Ankunft kaum von der Seite gewichen, abgesehen
von den Momenten, in denen er mit Josepha telefonierte. Nun begleitete er mich
auch zur Caisse d’Epargne-Fililale
ins Zentrum. Mir war keine Erklärung eingefallen, wieso er nicht hätte
mitdürfen sollen. Außerdem mangelte es momentan an Alternativen. Die fette
Schwarze im Zimmer 6 war keine Französin. Sie kam aus einem englischsprachigen
Land. Der stille und freundlich grüßende Brillenträger mit der Carlos-Brille und
der Gebetsmütze schräg gegenüber von Sebastian musste aus dem Maghreb sein. Die
Gespräche mit Mehdi und Rachid, die oft vor der Treppe vom Bâtiment A abhingen, waren bisher
nicht über die Fragen hinausgekommen, ob alle Deutschen schwul seien und ob ich
ihren Puller lutschen wollte.
Bevor wir unsere Karten in den Automaten der Bank-Filiale gegenüber
vom Centre Bosquet schoben,
schlug ich vor: „Lass uns mal erst erkundigen, wie teuer hier die Gebühren
sind!“
Eigentlich war es mir egal, welche Gebühren
verlangt wurden. Ich wollte vor allem Französisch sprechen. Und hoffte, dass
die Bankangestellten mich nicht sofort als Deutschen identifizierten. Durch
zahlreiche kürzere Frankreichbesuche, sieben Jahre Gymnasium und zwei Jahre
Romanistikstudium beherrschte ich die Sprache ganz passabel, zumal ich mich
immer darum bemüht hatte, jede Gelegenheit zum Sprechen zu nutzen. Schon oft
hatte man mir in Frankreich bescheinigt, praktisch akzentfrei zu sprechen. Mal
sehen, wie lange ich meinem Gegenüber am Schalter vormachen konnte, ich sei
sein Landsmann. Mein Anliegen war zwar thematisch dafür ungeeignet, denn warum
sollte ich Kunde einer deutschen Bank sein, wenn ich Franzose war. Aber ich
hatte die richtigen Impulse im Wohnheimzimmer einstudiert, um mich als
Einheimischer zu verkaufen:
1) Guten Tag. Ich bin zwar kein Kunde
Ihrer Bank, würde aber gerne mit meiner Karte Geld abheben. Wie hoch sind denn
die Gebühren?
…
2) Aha. Die Höhe der Gebühren richtet sich
nach meiner Hausbank. Ich bin bei der Sparda-Bank Berlin. Können Sie mir
darüber Auskunft erteilen, wie teuer das ist?
…
3) Das ist eine deutsche Bank. Das haben
Sie bestimmt in Ihrem Computer.
…
4) Ich bin bei der Bank, weil ich gerade
ein Erasmusjahr in Berlin gemacht habe.
…
5) Pauschal oder in Abhängigkeit von dem Betrag, den ich abhebe?
…
6) Vielen Dank.
Die Wortbeiträge Nummer zwei, drei und vier würde ich nicht
benötigen, sofern die Gebühr von Caisse
d’Epargne erhoben wurde. Ich musste nur sicherstellen, dass mich
Sebastian nicht verriet. „Lass mich reden. Ich hab solche Gespräche schon
geführt.“
Wir betraten die kundenfreie Filiale. Zwei Bankangestellte blickten
auf und lächelten. Der Jüngere von beiden, ein Mann Anfang zwanzig mit kurzen
gegelten Haaren, eilte auf uns zu.
„Je peux vous aider? - Kann ich Ihnen helfen?“
„Bonjour!“, legte ich los und wurde sogleich unterbrochen.
„Oh, Germany. Your French really good.“
Diese Beleidigung war ein Schlag ins Gesicht. Warum hatte er nicht
gleich gesagt: „Oh, you are from Berlin Friedrichshain.”?
Ich setzte an: „Nein, ich bin nicht aus Deutschland. Ich bin aus
Afghanistan und auf der Suche nach einem Objekt für meinen Dschihad.“
Doch Sebastian kam mir zuvor: „Yes, we are from Berlin. Germany.“ Na
toll. Meine Identität war aufgeflogen. Ich riss das Wort wieder an mich.
„Je ne suis pas un client de votre
établissement. Mais j’aimerais retirer de l’argent avec ma carte bancaire.
Pourriez-vous m’indiquer les frais?“
„Yes, I can. He money, on the money from the
machine. The costs. The bank, that you have. This is he money.“ Offenbar hatte er
Englisch nach dem ersten Halbjahr der siebten Klasse abgewählt. Ich verstand
gar nichts.
„Vous pouvez parler français! - Sie können Französisch sprechen!“,
schlug ich vor.
„No. You talk English!“, weigerte er sich und schüttelte dabei lächelnd
seinen Kopf. Offenbar waren wir in dieser Filiale die ersten Ausländer seit
Menschengedenken und er erhoffte sich vom Gespräch mit mir eine Auffrischung
seiner nicht vorhandenen Fremdsprachenkenntnisse. So setzten wir unser Gespräch
bilingual fort:
„Pardonnez-moi, Monsieur. Mais je n’ai rien pigé
de ce que vous avez essayé de me dire.“ Ich wurde lauter. Er blieb unbeeindruckt: „Okay.
The bank machine … costs moneys. Görman Mark. Not the
machine. But he bank you have. Your bank.”
„Si je vous ai bien compris c’est ma banque en
Allemagne qui prélève des frais sur les retraits de ses clients à l’étranger.“
Sebastian stand ratlos daneben. Er schien unsicher, ob er sich, wie
von mir gewünscht, nicht einbringen durfte, oder mir nun doch unter die Arme
greifen sollte. Abwechselnd schaute er von mir zu meinem Tandempartner.
„Was meint er?“
„Ist mir egal. Er soll Französisch reden.“
„Yes.“
„Quel est le montant?“
„Äh, the bank ... äh the bank Germany has a
name. What?”
Ich schüttelte nur gereizt den Kopf.
“German Bank? Banque de commerce?“, bot er mir
ungerührt an, so als habe er von unseren kommunikativen Schwierigkeiten noch
nichts mitbekommen.
“Sparda-Bank Berlin.”
Ich buchstabierte und er tippte den Namen in seinen Computer ein,
allerdings erst, nachdem er jeden einzelnen Buchstaben wiederholt hatte.
Er blickte eine Weile auf seinen Bildschirm, spielte mit seiner
Unterlippe und fing dann an zu stammeln: „Äh, the money … your banque ...äh, äh
a problème ... ordinaetör here...”
Ich verstand weiterhin nur Bahnhof und versuchte erneut, ihn dazu zu
bewegen, doch einfach Französisch zu reden, unter anderem, indem ich mehrere
französische Zungenbrecher fehlerfrei rezitierte.
Doch er blieb bei Englisch. Ich schaute zu
Sebastian und rollte mit den Augen.
„Soll ich es mal mit Spanisch versuchen?“, bot
er an.
„Mach mal!“, verzog ich verächtlich den Mund und
nickte ironisch. Was sollte das bringen? Warum sollte ein französischer
Bankangestellter einen Deutschen, der Spanisch sprach, besser verstehen als
einen Deutschen, der Französisch sprach?
„Okay. Äh .... Querer ... saber ... banco ...
los costos.“ Sebastian machte doch tatsächlich Ernst. Er beugte sich dabei über
den Schalter, als sei alles ein Problem der Akustik. Sein Spanisch hörte sich
kaum besser an als das Englisch des Caisse-d’Epargne-Mitarbeiters.
War das hier das französische Pendant zu „Verstehen Sie Spaß?“ Wo war die Kamera? Ich wandte mich genervt
an den älteren Kollegen:
„Excusez-moi, Monsieur. Pourriez-vous m’indiquer
le montant des frais prélévés par ma banque allemande pour le retrait
d’argent?“
„Si ... moneta ... no sapere ...cui computer
...di questo bancuo.“
Das sollte wohl Italienisch sein. Ich gab auf. Eine weitere
misshandelte Sprache hatte mir gerade noch gefehlt. Ich verabschiedete mich auf
Russisch und trat den Rückzug an. Sebastian, der so in sein Gespräch vertieft
war, folgte mir erst eine halbe Minute später.
„Ich hab nichts rausbekommen. Wollen wir es noch woanders versuchen?“
„Nein. Scheißegal! Lass uns was abheben! … Wie kommt es eigentlich,
dass du so gut Spanisch kannst?“
„Ich bin mal nach Santiago de Compostela gewandert. Mit Josepha.“
„Bist du gläubig?“
„Nein. Aber ich wandere gerne.“
Er wurde mir immer seltsamer. Ein Glück, dass er
bald in eine WG ziehen würde.
Ende der Woche dazu, wie es klingt, wenn Franzosen Englisch sprechen, am nächsten Dienstag weiter mit dem Roman.
Ende der Woche dazu, wie es klingt, wenn Franzosen Englisch sprechen, am nächsten Dienstag weiter mit dem Roman.
Sonntag, 30. März 2014
Café Russe und Boulevard des Pyrénées
Hier in diesem Café mit der roten Markise duellierte sich Markus das erste Mal mit einem kleinen Italiener um eine Französin.
Darum konnte er auch nicht den Blick auf die Pyrenäen richten, den Lamartine als den schönsten Blick auf der Erden bezeichnete.
Marine sollte nicht die letzte Frau sein, auf die auch der Italiener ein Auge geworfen hatte. Schade eigentlich, dass dabei die Natur ein bisschen untergeht. Aber für diese interessiert sich Sebastian um so mehr.
Am Dienstag wieder etwas vom Roman, Ende der Woche Hintergründe.
Darum konnte er auch nicht den Blick auf die Pyrenäen richten, den Lamartine als den schönsten Blick auf der Erden bezeichnete.
Marine sollte nicht die letzte Frau sein, auf die auch der Italiener ein Auge geworfen hatte. Schade eigentlich, dass dabei die Natur ein bisschen untergeht. Aber für diese interessiert sich Sebastian um so mehr.
Am Dienstag wieder etwas vom Roman, Ende der Woche Hintergründe.
Dienstag, 25. März 2014
Kapitel 5/2
Marine
führte uns zunächst zu den verschiedenen Fakultäten. Unsere würde die
literatur- und sprachwissenschaftliche sein, ein dreigeschossiger Bau mit
dunklen Gängen und einem Innenhof, durch den sich steinerne Sitzgelegenheiten
zogen. Dort sollten wir uns in den nächsten Tagen immatrikulieren, um einen
Studentenausweis zu erhalten, und zu Beginn der kommenden Woche mit Hilfe
unserer pädagogischen Berater unseren Stundenplan zusammenstellen. Die zweite
Station war die Bibliothek des Fachbereichs Recht und Literatur, ein flaches
Gebäude, das wie meine Fakultät eine Renovierung bitter nötig hatte. Danach
ging es zur naturwissenschaftlichen Bibliothek, um die es nicht besser bestellt
war. An das Clous, das Studentenwerk am nördlichen Rand vom Campus, wandte man
sich in Wohnangelegenheiten. Wir beschlossen unseren Rundgang mit einem Besuch
der drei Mensen, die sich großzügig über das weitläufige, mit großen Wiesen
durchsetztes Uni-Areal verteilten, der Cafétéria
Arlequin in der rechtswissenschaftlichen Fakultät, der Brasserie La Vague gegenüber der
literatur- und sprachwissenschaftlichen Fakultät und dem riesigen Restaurant Universitaire am südlichen
Ausläufer, gegenüber vom großen Parkplatz. Das Gespräch mit Marine suchte ich
nicht. Sie sollte nicht annehmen, ich hätte die Gruppe ihretwegen gewechselt. Mein Gegenspieler –
der tatsächlich eine italienische Mutter hatte – war plumper:
„Was kann
man hier abends machen?“
„Es gibt
das Hoegaarden. Da finden
Donnerstagabend immer gute Partys statt.“
„Was für
Partys?“
„Karaoke-Partys.“
„Ah. Bist
du da oft?“ Er sprach wirklich ausgesprochen gut Französisch, fast ohne Akzent.
„Recht
oft.“
„Und singst
du auch?“
„Eigentlich
nicht so.“
„Du singst
bestimmt wunderschön.“ Wie billig. Sie musste lachen. Sicherlich, weil ihr dieses
plumpe Kompliment unangenehm war.
„Ich komm
mir gerne mal anhören, wie du so singst.“
Sie musste
wieder lachen. „Ich singe eigentlich nicht.“
„Aber was
würdest du denn gerne singen? Liebeslieder? Romantische Lieder? Französische
Lieder?“
„Meistens kommen Hits.“
„’I can’t get
you out of my mind’ von Kylie Minogue?”
„Nee. Eher
französische Hits.“ Sie schüttelte verlegen den Kopf.
„Ich liebe
französische Hits.“ Wann würde er seine Arme um sie legen? Am liebsten hätte
ich sie aus ihrer misslichen Lage befreit. Aber ich blieb besser im
Hintergrund.
„Und wo
gehst du sonst so hin?“
„Boulevard des
Pyrénées und ins Durango.
Das ist
eine Disko. Aber ich gehe auch nicht ständig weg.“
„Wohnst du
auch im Wohnheim?“
„Nein. Ich
habe eine Einzimmerwohnung.“
Wenn sie
uns anderen nicht immer wieder auch etwas über die Uni und die Stadt erzählt
hätte, dann hätte sie vermutlich die ganze Zeit mit ihm reden müssen.
„Also, ich
führe euch jetzt ins Zentrum und zeige euch noch ein paar Ecken, wo man abends
ausgehen kann.“ Wir verließen die Uni in Richtung Süden.
„Hier ist
das Hoegaarden. Da kann man
feiern.“
Das Café hatte den Charme einer Autobahnraststätte. Südöstlich vom Hoegaarden standen Plattenbauten, auf der anderen Straßenseite ummauerte oder von riesigen Hecken geschützte Villen. Weiter südlich, auf dem Weg zum Zentrum, überwogen dreistöckige Bauten. Kein Haus war wie das andere. Offenbar hatten die Stadtplaner für jedes Bauwerk einen anderen Architekten gewählt und jeden darüber im Unklaren gelassen, was die Kollegen verzapft hatten. Die Bürgersteige waren schmaler als in Deutschland und oftmals zur Straße abfallend. Immer wieder sah man eine Pferdewettenbar, einen Kiosk mit Kneipe, Restaurants, die tagsüber schlossen, kleine Supermärkte. Wir passierten eine Autowerkstatt, Waschcenter, Boulangerien. Dann ging es hinunter ins Quartier Hédas, dem in einer schmalen und länglichen Senke gelegenen Ausgehviertel für Studenten. Hier wurde Pau das erste Mal hübsch. Hier lag auch das Durango. Dann wieder bergan.
Das Café hatte den Charme einer Autobahnraststätte. Südöstlich vom Hoegaarden standen Plattenbauten, auf der anderen Straßenseite ummauerte oder von riesigen Hecken geschützte Villen. Weiter südlich, auf dem Weg zum Zentrum, überwogen dreistöckige Bauten. Kein Haus war wie das andere. Offenbar hatten die Stadtplaner für jedes Bauwerk einen anderen Architekten gewählt und jeden darüber im Unklaren gelassen, was die Kollegen verzapft hatten. Die Bürgersteige waren schmaler als in Deutschland und oftmals zur Straße abfallend. Immer wieder sah man eine Pferdewettenbar, einen Kiosk mit Kneipe, Restaurants, die tagsüber schlossen, kleine Supermärkte. Wir passierten eine Autowerkstatt, Waschcenter, Boulangerien. Dann ging es hinunter ins Quartier Hédas, dem in einer schmalen und länglichen Senke gelegenen Ausgehviertel für Studenten. Hier wurde Pau das erste Mal hübsch. Hier lag auch das Durango. Dann wieder bergan.
Der
Halbitaliener wich nicht von Marines Seite.
„Was läuft
im Durango für Musik?“
„Rock und
Pop.“
„Cool. Ich
mag Rock und Pop. Ich bin ein großer Rock- und Pop-Fan. Magst du auch Rock und
Pop?“
„Ja.“ Was
hätte sie auch sonst antworten sollen? Sie war unsere Tutorin, sie musste nett
zu uns sein.
Ich lief
neben Sebastian, der unentwegt jeden Stein fotografierte, aber mich deswegen
zumindest nicht zwang, mit ihm Gespräche zu führen. Im Centre Bosquet, einem Einkaufszentrum, gab es eine Fnac-Filiale. Hier in der Innenstadt häuften
sich teurere Geschäfte, Versicherungen, Banken. Nach einem Abstecher zum
burgähnlichen Schloss Heinrich IV. mündete unsere Tour bei einem Café Crème im Café Russe auf dem Boulevard
des Pyrénées. Vor uns lag das Gebirge, das Frankreich von Spanien trennte.
Natürlich nahm mein Konkurrent neben Marine Platz. Ich erwischte den Platz auf
ihrer anderen Seite.
„Es ist
wirklich ein toller Blick hier. Wirklich toll.“ Im Grunde hatte er recht. Aber
musste man über so etwas mit einer Frau reden? Wie einfallslos!
„Find ich
auch“, stimmte ihm Marine pflichtschuldig zu.
„Da hast du
wirklich was Tolles ausgesucht.“ Man konnte auch übertreiben. Den Boulevard
steuerte doch jeder Tourist gleich am ersten Tag an.
„Mich
erinnert das ein bisschen an Neapel, wo meine Mutter herkommt. Kennst du
Neapel?“ Er fing an, ihr von Italien vorzuschwärmen. Ich kam gar nicht zu Wort.
Dafür interessierte sich Sebastian nun wieder für mich:
„Findest du
das nicht auch herrlich? Da kann man das Wohnheim gleich vergessen. Das ist
Frankreich. C’est la vie.“
Der
italobritische Flirtkönig wurde immer zudringlicher:
„Hast du
italienische Vorfahren?“
„Nein,
wieso?“
„Du siehst
ein bisschen italienisch aus.“
„Wirklich?
Echt?“
„So der
Hauttyp. Und wegen deiner braunen Augen.“
„Meine
Augen sind aber grün.“ Sie schaute verwundert.
„Aber sie
sehen ziemlich braun aus.“ Sie hatte wirklich hübsche Augen. Und er ein
hässliches T-Shirt: Cicieta Sportiva Calvio Napoli. Ich kam ja auch
nicht mit einem Shirt von Hertha BSC.
Erst bei der Verabschiedung gelang es mir, mich
bei Marine nach ihrer Handynummer zu erkundigen. „Falls ich noch Fragen zur Uni
hab. Ich hab nämlich nicht alles verstanden vorhin“, log ich. Ich würde mich
natürlich nicht sofort bei ihr melden, sondern ein paar Tage verstreichen
lassen. Diese Zurückhaltung würde sich wohltuend abheben von der aufdringlichen
Art meines Rivalen, der sich die Nummer ebenfalls notierte. Ich konnte mir
wirklich nicht vorstellen, dass er bei ihr Chancen hatte.
Ende der Woche mehr zum Café und am Dienstag dann der nächste Auszug vom Roman.
Ende der Woche mehr zum Café und am Dienstag dann der nächste Auszug vom Roman.
Sonntag, 23. März 2014
Wohnheim Corisande d'Andoins: Innenansichten
Besonders luxuriös würden die zehn Monate nicht werden. Das war Markus sofort klar.
Ein Schreibtisch mit Fensterblick ...,
ein schmales Bett ...,
ein Waschbecken ...
und ein Schrank (augenscheinlich nicht von Ikea) mussten als privater Rückzugsraum genügen.
Gekocht wurde in der Etagenküche ...,
von der aus Markus sich vergewissen konnte, dass der andere Gebäudetrakt auch nicht besser aussah.
Nach dem Öffnen des Etagenkühlschranks zog es Markus meistens ...
hierin. Doch Vorsicht! Auf keinen Fall hinsetzen.
Am Dienstag kommt der nächste Romanauszug, in einer Woche gibt es wieder Kontextinformationen.
Dienstag, 18. März 2014
Kapitel 5/1
In Kapitel 3 lernt Markus sein Wohnheimszimmer kennen, Kapitel 4 beschreibt den Weg vom Wohnheim zur Uni am nächsten Morgen - natürlich in Begleitung von Sebastian -, wo es für die Erasmusstudenten eine Führung durch die Uni und die Paloiser Innenstadt geben wird.
Am nächsten Dienstag gibt es den Fortgang im Duell zwischen Markus und dem Italiener um die Gunst Marines (zweiter Teil vom dritten Kapitel), Ende dieser Woche ein paar Photo-Impressionen aus dem Wohnheim.
Als wir dreiviertel neun die Présidence der Universität erreichten, einen zweigeschossigen Rundbau mit weißer Fassade und langen Fensterzeilen, warteten bereits an die zwanzig Erasmusstudenten in Grüppchen darauf, von den Franzosen unter die Fittiche genommen zu werden. Soweit ich es beobachten konnte, hatten sie sich brav nach Herkunft sortiert: am Eingang fünf Engländer, Schotten bzw. Iren; einer von ihnen, groß und schlaksig, hatte rot gefärbte Haare, trug eine Cordhose und erinnerte mich ein bisschen an Dirk von Lowtzow. Ein anderer, ein ziemlich kleiner mit rotem Basecap, schien südeuropäische Vorfahren zu haben. Zur selben Clique gehörten noch ein Händchen haltendes Pärchen, sie klein und etwas pummelig, er groß und schlank, beide sehr blasse Haut. Und eine Rothaarige mit Sommersprossen, großen Lippen, tiefem Ausschnitt, der ihren Vorbau betonte, und extrem kurzen Hosen. Unsere Landsleute bestanden nur aus Studentinnen: einer dunkelhaarigen, zierlichen Person; einer übergewichtigen mit lockigen Haaren und Brille; einer Rothaarigen, recht großen; sowie fünf Blondinen. Wir waren die einzigen Jungen aus Deutschland. Zudem gab es zwei braunhaarige Mädchen, deren Herkunft ich nicht identifizieren konnte. Spanierinnen waren sie nicht. Und auch nicht aus Italien. Trotzdem eher Südeuropa. Vielleicht Portugal. Schließlich standen noch vier Studenten beisammen, die sich anschwiegen. Das konnten eigentlich nur Skandinavier sein.
Sebastian steuerte zielstrebig auf Kriemhield, Isolde, Ingeborg, Ute, Sieglinde, Heike, Gudrun - oder wie auch immer sie hießen - zu. Ich hielt ihn zurück.
„Lass uns mal hier bleiben!“
„Wieso denn?“
„Ich will mich nicht mit Deutschen anfreunden.“
Er schaute mich verwundert an.
„Dann entstehen soziale Verpflichtungen, die ich nur schwer wieder loswerde. Ich möchte hier Franzosen kennenlernen“, erklärte ich etwas vage, denn eigentlich wollte ich vor allen Dingen Französinnen kennenlernen. „Um die Sprache zu verbessern. Jeder Kontakt zur Heimat ist da nur hinderlich.“ Mein Kommilitone nickte. „Das stimmt. Da hast du recht“, und blieb bei mir stehen, obwohl er, wenn er den Gedanken zu Ende gedacht hätte, auf Abstand zu mir hätte gehen müssen.
Die Empfangsdelegation bestand aus Madame Lescaud, Marine, Cécile, Aurélie und Marc. Madame Lescaud, eine Frau Anfang vierzig mit kinnlangen, blonden Haaren und weiß gerahmter Brille hieß uns auf Französisch herzlich willkommen und erklärte, dass wir von unseren Tutoren zunächst über den Campus geführt und diese uns anschließend die schönsten Ecken der Stadt zeigen würden. Die Zuteilung zu den Tutoren erfolgte über Abzählen, damit wir neu gemischt und mit Studenten aus verschiedenen Ländern unseren Rundgang beschreiten konnten. Sebastian durfte zu Marine. Mit ihrem Pony und ihrer blassblauen Bluse sah sie zwar ein bisschen brav aus, war aber alles in allem die Hübscheste aus der Runde. Sie hatte schöne Augen. Ich sollte zu Marc. Da wollte ich aber nicht hin. Denn der unsicher wirkende Kerl, der die ganze Zeit auf den Boden schaute, war unattraktiver als Marine und obendrein ein Junge.
„Je peux changer de groupe? – Kann ich die Gruppe wechseln?“, wandte ich mich an Madame Lescaud. Ich war nicht der Einzige, der mit der Zuteilung nicht zufrieden war. Der mediterrane Engländer, der auch bei Marc gelandet war, hatte offenbar ebenfalls bereits ein Auge auf Marine geworfen.
„Pourquoi?“, erkundigte sich Madame Lescaud nach dem Grund meines Ansinnens.
„Je veux être avec mon ami Sebastian. Je fais tout avec lui“, erhob ich meinen Berliner Kommilitonen kurzerhand zu meinem engsten Freund. Diese Bemerkung kostete mich sehr viel Überwindung. Wahrscheinlich würde ich sie noch bereuen. Er klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. Madame Lescaud verdrehte die Augen. Mein Nebenbuhler kopierte mich einfach.
„Je veux aussi être avec ma petite-copine. C’est celle-là“, gab er die pummelige Engländerin aus Marines Gruppe, die soeben noch die Hand ihres schlaksigen Typen gehalten hatte, als seine Freundin aus. Diese schien nicht zu verstehen.
„Die Gruppen sollen aber ungefähr gleich groß sein. Ein paar Stunden werden Sie sich von Ihrer Freundin und Sie von Ihrem Freund doch wohl trennen können!“ Galten Sebastian und ich mittlerweile als schwules Pärchen?
Mein Konkurrent und ich schüttelten den Kopf. Der Mezzogiorno-Brite schlug der Engländerin in Marines Gruppe, zu der er eigentlich hatte wechseln wollen, vor, mit ihm zu tauschen, damit sie wieder mit ihrem Freund zusammen war. Sie willigte ein. Eine absurde Aktion. Nun hätte ich gleich noch Sebastian bitten können, mir ebenfalls seinen Platz zu überlassen. Doch Madame Lescaud schüttelte nur entnervt den Kopf. „Meinetwegen!“ Sebastian freute sich.
Am nächsten Dienstag gibt es den Fortgang im Duell zwischen Markus und dem Italiener um die Gunst Marines (zweiter Teil vom dritten Kapitel), Ende dieser Woche ein paar Photo-Impressionen aus dem Wohnheim.
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