Das
englische Pärchen war auch erschienen. Die beiden hielten wie an der
journée d'accueil Händchen. Und dann noch ein paar von den
Deutschen, die ich vor vier Tagen ebenfalls vor der Présidence
gesehen hatte. Und die beiden Frauen mediterranen Typs, die ich
geografisch in Portugal verortet hatte. Die anderen, die im Kreis auf
dem Boden in der Mitte des Raumes saßen, sah ich zum ersten Mal.
Auch die, die an den Seiten standen. Aus allen Richtungen spanische
Wortfetzen. Wo waren die Franzosen? Waren überhaupt welche hier?
Warum war ich eigentlich hier? Um nicht wieder mit Sebastian ins Kino
gehen zu müssen. Im Hintergrund lief Manu Chao. Eigentlich hätte
ich mir denken können, dass bei einer Erasmusparty zu Beginn des
Jahres Franzosen Mangelware waren. Andererseits war es auch nicht
ausgeschlossen, dass jemand Marine eingeladen hatte. Schließlich
hatte sie mehrere von uns über den Campus und durch Pau geführt.
Ich schaute mich vergeblich nach ihr um.
„Ich
muss mal kurz telefonieren“, entschuldigte sich Sebastian. „Bin
gleich wieder da.“
Ich
machte mich auf die Suche nach dem Büffet. In der verwaisten Küche
wurde ich fündig. Desperados-Bier, Orangensaft, Cola, Wasser
und Chips. Ich goss mir eine Cola in einen weißen Plastebecher und
nahm auf einem schwarzen Klappstuhl Platz. Die Luft war
zigarettenrauchgeschwängert.
Eine
Blondine in türkisfarbenem Oberteil und blauem Jeansrock betrat den
Raum und machte sich an der Cola-Flasche zu schaffen. Sie war hübsch,
vermutlich keine Spanierin. Ich versuchte mein Glück:
„Je
peux te recommander les chips. Ils sont excellents.“ Waren
Chips im Französischen eigentlichen männlich?
„Merci.“
Sie lächelte.
„Tu
viens d’où?“
„D’Allemagne.“
„Ah!“
Mein Interesse erlosch augenblicklich.
„Und
woher?“, wechselte ich ins Deutsche.
„Aus
Hamburg.“
„Ich
bin aus Berlin.“
Ich
hatte keine weiteren Fragen parat, was vielleicht auch an meiner
fehlenden Motivation lag. Zum Glück bekamen wir Gesellschaft. Eine
etwas mollige Frau mit braungelockten, schulterlangen offenen Haaren
erschien im Türrahmen. Genau. Ich kannte sie von der journée
d'accueil.
„Bringst
du noch für Joaquim ein Bier mit?“
„Okay.“
Die
Blonde griff sich eine Flasche und sie verschwanden wieder aus der
Küche. Im Wohnzimmer wurde die Musik lauter. Irgendwas Spanisches.
Ich erhob mich von meinem Stuhl und erhielt erneut Besuch. Ein
bisschen zu dünn für meinen Geschmack, aber ein ausgesprochen
hübsches Gesicht, große Augen, lange Wimpern und eine kleine Nase.
„Tu
fuis la musique?“
„Como?“
„Est-ce
que tu fuis la musique?“, wiederholte ich laut und deutlich.
„He
ne comprenn pas.“
„Tu
es d’où?“
„Qu’est-ce
quä çä?“ Das war ja wie in der
Bankfiliale. Ich wechselte zu Spanisch. Zum Glück hatte ich das vor
Jahren mal ein halbes Jahr an der Volkshochschule gelernt.
„Donde
estas?“
„Zaragoza.”
„Ah,
Zaragoza!”, tat ich begeistert.
„Conoces
Zaragoza?”
Ich
kannte Zaragoza nicht, erklärte aber, dass ich mal gelesen hätte,
wie schön die Stadt sei. Sie erfuhr, dass ich aus Berlin kam. Sie
war ebenfalls begeistert und bot mir an, ich könne sie mal besuchen
kommen. Sie stand sehr dicht und streichelte mir über den Arm.
Eigentlich wollte ich Französisch lernen. Mit ihr würde das nichts
werden. Andererseits, eine kleine Affäre zu Beginn mit einer
Spanierin, solange ich noch keine Französin kannte? Was sprach
dagegen? Auf Marine konnte ich mich vielleicht nicht verlassen.
Sie
griff sich eine Bier. „Quieres bailar?“ Bailar hieß tanzen. Ich
folgte ihr. Der Sitzkreis im Wohnzimmer hatte sich an die Wände
verzogen. In der Mitte hatten die ersten angefangen, ihren Körper
zur Musik zu bewegen. Haschischrauch hüllte mich ein. Vielleicht
konnte man auch so bekifft werden.
„Como
te llamas?”, wollte sie wissen.
„Markus.
Como te llamas?“
„Jana.“
Sie
streichelte mir erneut über den Arm, dann über den Kopf und
gesellte sich zu den Tanzenden in der Mitte. Die Musik kannte ich
nicht. Aber wen aus Spanien kannte ich schon außer Héroes del
Silencio? Offenbar gab es auf der iberischen Halbinsel auch noch
andere Bands. Jana konnte sich eigentlich ganz gut bewegen. Sie
forderte mich mit der Hand auf, zu ihnen zu kommen. Eigentlich tanzte
ich nicht so gerne. Vor allen Dingen nicht, wenn mich jemand dabei
beobachtete, von dem ich vielleicht etwas wollte. Aber vielleicht
sollte ich mal über meinen Schatten springen und interkulturelle
Kompetenz zeigen. Ich bewegte mich wippend auf den Menschenhaufen in
der Mitte zu. Zum Glück war das Lied schnell zu Ende.
Wieder
streichelte mir Jana über den Arm.
„Markus,
esto es Manuel. Mi amigo“, deutete sie auf ihren Tanzpartner, einen
Typen mit Hawaiihut und behaarten Armen. Auch wenn mein Spanisch
schlecht war, den Schlüsselbegriff hatte ich verstanden: mi
amigo.
„Manuel,
esto es Markus. Es de Berlin.“
Manuel
klapste mir anerkennend auf die Schulter. Waren sie auf einen Dreier
aus? Sicher nicht. Was für eine Demütigung. Sollte ich Jana
erklären, dass ich sowie nichts von ihr wollte? Dass ich mich nur
für Französinnen interessierte? Der nächste Song begann. Ich
tanzte mich vorsichtig wieder aus dem Zentrum des Geschehens und
landete am Fenstersims, auf dem eine dunkelblonde, schlanke Studentin
in weißem Oberteil eine SMS in ihr Handy tippte.
„Salut!“,
sprach ich sie an.
„Hola?“
„Tu
viens aussi de l’Espagne?“
„He
ne comprenne pas.“
„Donde
estas?“
„De
Zaragoza.“
Hier
schien heute eine ganze Reisegruppe aus Saragossa versammelt zu sein.
Ich rief erneut meine gespielte Begeisterung ab, sie schwärmte für
Berlin. Wir luden uns gegenseitig ein. Sie kam mir immer näher,
streichelte mir über den Arm, berührte mehrmals meine Hand. Ich war
schon fast erregt, dann kam ihr Freund zurück.
„Markus.
Es Jorge. Mi amigo.“
Ich
wollte weg. „Donde
esta el toilette?“
„El
toilette?“ Toilette war wohl doch kein international gebräuchlicher
Begriff. „Busca mi
amiga“, log ich. Wo war eigentlich
Sebastian? Telefonierte er immer noch? Wenn man ihn mal brauchte, war
er nicht zur Stelle. Auch nicht, als ich von der Toilette wieder
zurück war. Wen kannte ich eigentlich noch? Nur noch das englische
Pärchen. Ich ließ mich neben beiden auf der Matratze nieder.
„Ça
va?“
„Oui,
ça va. Et toi?“
Wenigstens
verstanden sie Französisch.
„Alors,
qu’est-ce que vous avez fait ces derniers jours?“ Sie
schauten mich fragend an. Okay. Sie verstanden also doch kein
Französisch. Immer mehr tanzten. Einige barfuß.
„Do
you always hold hands?“, fragte ich scherzend. Sie konnten über
meine Bemerkung nicht lachen.
„Not
always.“
„Were
is the other English boy? The one with the Italian mother?” Sie
wussten es nicht. Wahrscheinlich traf er sich bereits mit Marine. Er
hatte es richtig gemacht. Hier waren nur Pärchen und Deutsche. Und
nicht eine einzige Französin. Ich hätte nicht herkommen, sondern
lieber auf meinem Zimmer Radio hören sollen. Ich stand auf, um
Sebastian zu suchen. Im Flur drängelte ich mich an den beiden
Deutschen von vorhin aus der Küche vorbei, die sich gerade mit
Joaquim und einem anderen Spanier auf Englisch zu einem Ausflug ins
Baskenland verabredeten. In der Küche war Sebastian auch nicht. Auch
nicht im anderen Zimmer, wo Engländer und Studenten mir unbekannter
Nationalität ebenfalls Pläne für gemeinsame Aktivitäten
schmiedeten. Dann würde ich eben alleine gehen. Ich konnte ja nicht
ewig warten. Ich griff meine Jacke, meinen Rucksack und stieg die
Treppe hinab. Draußen war es noch angenehm warm. Gegenüber sah ich
Sebastian in einer Telefonzelle. Er bemerkte mich nicht. Ich machte
mich auf den Heimweg. Um die Erasmusstudenten musste ich zukünftig
unbedingt einen Bogen machen. Wenn ich mich mit denen anfreundete,
würde ich nie eine Französin kennenlernen und meine
Sprachkenntnisse verbessern, weil ich mit ihnen ständig nach Bilbao
und Saragossa fahren und Partys würde feiern müssen. Wahrscheinlich
würde sich mein Französisch sogar verschlechtern. Ich musste es
alleine schaffen. Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, als
Paar nach Frankreich zu gehen oder mit einem Landsmann in eine WG zu
ziehen?
Ende der Woche mehr dazu, wie eine Erasmusparty abläuft und was Markus vielleicht hätte anders machen sollen.
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