Stephan Serin



Chaussee der Enthusiasten

Dienstag, 8. April 2014

Kapitel 7/1


Das englische Pärchen war auch erschienen. Die beiden hielten wie an der journée d'accueil Händchen. Und dann noch ein paar von den Deutschen, die ich vor vier Tagen ebenfalls vor der Présidence gesehen hatte. Und die beiden Frauen mediterranen Typs, die ich geografisch in Portugal verortet hatte. Die anderen, die im Kreis auf dem Boden in der Mitte des Raumes saßen, sah ich zum ersten Mal. Auch die, die an den Seiten standen. Aus allen Richtungen spanische Wortfetzen. Wo waren die Franzosen? Waren überhaupt welche hier? Warum war ich eigentlich hier? Um nicht wieder mit Sebastian ins Kino gehen zu müssen. Im Hintergrund lief Manu Chao. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass bei einer Erasmusparty zu Beginn des Jahres Franzosen Mangelware waren. Andererseits war es auch nicht ausgeschlossen, dass jemand Marine eingeladen hatte. Schließlich hatte sie mehrere von uns über den Campus und durch Pau geführt. Ich schaute mich vergeblich nach ihr um.
Ich muss mal kurz telefonieren“, entschuldigte sich Sebastian. „Bin gleich wieder da.“
Ich machte mich auf die Suche nach dem Büffet. In der verwaisten Küche wurde ich fündig. Desperados-Bier, Orangensaft, Cola, Wasser und Chips. Ich goss mir eine Cola in einen weißen Plastebecher und nahm auf einem schwarzen Klappstuhl Platz. Die Luft war zigarettenrauchgeschwängert.
Eine Blondine in türkisfarbenem Oberteil und blauem Jeansrock betrat den Raum und machte sich an der Cola-Flasche zu schaffen. Sie war hübsch, vermutlich keine Spanierin. Ich versuchte mein Glück:
Je peux te recommander les chips. Ils sont excellents.“ Waren Chips im Französischen eigentlichen männlich?
Merci.“ Sie lächelte.
Tu viens d’où?“
D’Allemagne.“
Ah!“ Mein Interesse erlosch augenblicklich.
Und woher?“, wechselte ich ins Deutsche.
Aus Hamburg.“
Ich bin aus Berlin.“
Ich hatte keine weiteren Fragen parat, was vielleicht auch an meiner fehlenden Motivation lag. Zum Glück bekamen wir Gesellschaft. Eine etwas mollige Frau mit braungelockten, schulterlangen offenen Haaren erschien im Türrahmen. Genau. Ich kannte sie von der journée d'accueil.
Bringst du noch für Joaquim ein Bier mit?“
Okay.“
Die Blonde griff sich eine Flasche und sie verschwanden wieder aus der Küche. Im Wohnzimmer wurde die Musik lauter. Irgendwas Spanisches. Ich erhob mich von meinem Stuhl und erhielt erneut Besuch. Ein bisschen zu dünn für meinen Geschmack, aber ein ausgesprochen hübsches Gesicht, große Augen, lange Wimpern und eine kleine Nase.
Tu fuis la musique?“
Como?“
Est-ce que tu fuis la musique?“, wiederholte ich laut und deutlich.
He ne comprenn pas.“
Tu es d’où?“
Qu’est-ce quä çä?“ Das war ja wie in der Bankfiliale. Ich wechselte zu Spanisch. Zum Glück hatte ich das vor Jahren mal ein halbes Jahr an der Volkshochschule gelernt.
Donde estas?“
Zaragoza.”
Ah, Zaragoza!”, tat ich begeistert.
Conoces Zaragoza?”
Ich kannte Zaragoza nicht, erklärte aber, dass ich mal gelesen hätte, wie schön die Stadt sei. Sie erfuhr, dass ich aus Berlin kam. Sie war ebenfalls begeistert und bot mir an, ich könne sie mal besuchen kommen. Sie stand sehr dicht und streichelte mir über den Arm. Eigentlich wollte ich Französisch lernen. Mit ihr würde das nichts werden. Andererseits, eine kleine Affäre zu Beginn mit einer Spanierin, solange ich noch keine Französin kannte? Was sprach dagegen? Auf Marine konnte ich mich vielleicht nicht verlassen.
Sie griff sich eine Bier. „Quieres bailar?“ Bailar hieß tanzen. Ich folgte ihr. Der Sitzkreis im Wohnzimmer hatte sich an die Wände verzogen. In der Mitte hatten die ersten angefangen, ihren Körper zur Musik zu bewegen. Haschischrauch hüllte mich ein. Vielleicht konnte man auch so bekifft werden.
Como te llamas?”, wollte sie wissen.
Markus. Como te llamas?“
Jana.“
Sie streichelte mir erneut über den Arm, dann über den Kopf und gesellte sich zu den Tanzenden in der Mitte. Die Musik kannte ich nicht. Aber wen aus Spanien kannte ich schon außer Héroes del Silencio? Offenbar gab es auf der iberischen Halbinsel auch noch andere Bands. Jana konnte sich eigentlich ganz gut bewegen. Sie forderte mich mit der Hand auf, zu ihnen zu kommen. Eigentlich tanzte ich nicht so gerne. Vor allen Dingen nicht, wenn mich jemand dabei beobachtete, von dem ich vielleicht etwas wollte. Aber vielleicht sollte ich mal über meinen Schatten springen und interkulturelle Kompetenz zeigen. Ich bewegte mich wippend auf den Menschenhaufen in der Mitte zu. Zum Glück war das Lied schnell zu Ende.
Wieder streichelte mir Jana über den Arm.
Markus, esto es Manuel. Mi amigo“, deutete sie auf ihren Tanzpartner, einen Typen mit Hawaiihut und behaarten Armen. Auch wenn mein Spanisch schlecht war, den Schlüsselbegriff hatte ich verstanden: mi amigo.
Manuel, esto es Markus. Es de Berlin.“
Manuel klapste mir anerkennend auf die Schulter. Waren sie auf einen Dreier aus? Sicher nicht. Was für eine Demütigung. Sollte ich Jana erklären, dass ich sowie nichts von ihr wollte? Dass ich mich nur für Französinnen interessierte? Der nächste Song begann. Ich tanzte mich vorsichtig wieder aus dem Zentrum des Geschehens und landete am Fenstersims, auf dem eine dunkelblonde, schlanke Studentin in weißem Oberteil eine SMS in ihr Handy tippte.
Salut!“, sprach ich sie an.
Hola?“
Tu viens aussi de l’Espagne?“
He ne comprenne pas.“
Donde estas?“
De Zaragoza.“
Hier schien heute eine ganze Reisegruppe aus Saragossa versammelt zu sein. Ich rief erneut meine gespielte Begeisterung ab, sie schwärmte für Berlin. Wir luden uns gegenseitig ein. Sie kam mir immer näher, streichelte mir über den Arm, berührte mehrmals meine Hand. Ich war schon fast erregt, dann kam ihr Freund zurück.
Markus. Es Jorge. Mi amigo.“
Ich wollte weg. Donde esta el toilette?“
El toilette?“ Toilette war wohl doch kein international gebräuchlicher Begriff. Busca mi amiga“, log ich. Wo war eigentlich Sebastian? Telefonierte er immer noch? Wenn man ihn mal brauchte, war er nicht zur Stelle. Auch nicht, als ich von der Toilette wieder zurück war. Wen kannte ich eigentlich noch? Nur noch das englische Pärchen. Ich ließ mich neben beiden auf der Matratze nieder.
Ça va?“
Oui, ça va. Et toi?“
Wenigstens verstanden sie Französisch.
Alors, qu’est-ce que vous avez fait ces derniers jours?“ Sie schauten mich fragend an. Okay. Sie verstanden also doch kein Französisch. Immer mehr tanzten. Einige barfuß.
Do you always hold hands?“, fragte ich scherzend. Sie konnten über meine Bemerkung nicht lachen.
Not always.“
Were is the other English boy? The one with the Italian mother?” Sie wussten es nicht. Wahrscheinlich traf er sich bereits mit Marine. Er hatte es richtig gemacht. Hier waren nur Pärchen und Deutsche. Und nicht eine einzige Französin. Ich hätte nicht herkommen, sondern lieber auf meinem Zimmer Radio hören sollen. Ich stand auf, um Sebastian zu suchen. Im Flur drängelte ich mich an den beiden Deutschen von vorhin aus der Küche vorbei, die sich gerade mit Joaquim und einem anderen Spanier auf Englisch zu einem Ausflug ins Baskenland verabredeten. In der Küche war Sebastian auch nicht. Auch nicht im anderen Zimmer, wo Engländer und Studenten mir unbekannter Nationalität ebenfalls Pläne für gemeinsame Aktivitäten schmiedeten. Dann würde ich eben alleine gehen. Ich konnte ja nicht ewig warten. Ich griff meine Jacke, meinen Rucksack und stieg die Treppe hinab. Draußen war es noch angenehm warm. Gegenüber sah ich Sebastian in einer Telefonzelle. Er bemerkte mich nicht. Ich machte mich auf den Heimweg. Um die Erasmusstudenten musste ich zukünftig unbedingt einen Bogen machen. Wenn ich mich mit denen anfreundete, würde ich nie eine Französin kennenlernen und meine Sprachkenntnisse verbessern, weil ich mit ihnen ständig nach Bilbao und Saragossa fahren und Partys würde feiern müssen. Wahrscheinlich würde sich mein Französisch sogar verschlechtern. Ich musste es alleine schaffen. Wie konnte man überhaupt auf die Idee kommen, als Paar nach Frankreich zu gehen oder mit einem Landsmann in eine WG zu ziehen?

Ende der Woche mehr dazu, wie eine Erasmusparty abläuft und was Markus vielleicht hätte anders machen sollen.

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