Zwei Tage
später hatte ich Marine noch nicht angerufen, dafür aber mein Zimmer halbwegs
eingerichtet. Ich besaß nun einen Teller, eine Tasse, Besteck, einen Topf, ein
paar Lebensmittel und Toilettenpapier. Und ich hatte mir bei E.Leclerc, einem riesigen Supermarkt gegenüber vom Campus,
einen CD-Player mit Radio besorgt, um so lange, wie ich noch keine Französin
datete, zumindest mein passives Französisch zu trainieren. Dazu kam noch die
Ausgabe für die tägliche Lektüre der L’équipe und von Le monde.
Frankreich war teuer. Ich musste Geld abheben. Natürlich nicht allein.
Sebastian war mir seit unserer Ankunft kaum von der Seite gewichen, abgesehen
von den Momenten, in denen er mit Josepha telefonierte. Nun begleitete er mich
auch zur Caisse d’Epargne-Fililale
ins Zentrum. Mir war keine Erklärung eingefallen, wieso er nicht hätte
mitdürfen sollen. Außerdem mangelte es momentan an Alternativen. Die fette
Schwarze im Zimmer 6 war keine Französin. Sie kam aus einem englischsprachigen
Land. Der stille und freundlich grüßende Brillenträger mit der Carlos-Brille und
der Gebetsmütze schräg gegenüber von Sebastian musste aus dem Maghreb sein. Die
Gespräche mit Mehdi und Rachid, die oft vor der Treppe vom Bâtiment A abhingen, waren bisher
nicht über die Fragen hinausgekommen, ob alle Deutschen schwul seien und ob ich
ihren Puller lutschen wollte.
Bevor wir unsere Karten in den Automaten der Bank-Filiale gegenüber
vom Centre Bosquet schoben,
schlug ich vor: „Lass uns mal erst erkundigen, wie teuer hier die Gebühren
sind!“
Eigentlich war es mir egal, welche Gebühren
verlangt wurden. Ich wollte vor allem Französisch sprechen. Und hoffte, dass
die Bankangestellten mich nicht sofort als Deutschen identifizierten. Durch
zahlreiche kürzere Frankreichbesuche, sieben Jahre Gymnasium und zwei Jahre
Romanistikstudium beherrschte ich die Sprache ganz passabel, zumal ich mich
immer darum bemüht hatte, jede Gelegenheit zum Sprechen zu nutzen. Schon oft
hatte man mir in Frankreich bescheinigt, praktisch akzentfrei zu sprechen. Mal
sehen, wie lange ich meinem Gegenüber am Schalter vormachen konnte, ich sei
sein Landsmann. Mein Anliegen war zwar thematisch dafür ungeeignet, denn warum
sollte ich Kunde einer deutschen Bank sein, wenn ich Franzose war. Aber ich
hatte die richtigen Impulse im Wohnheimzimmer einstudiert, um mich als
Einheimischer zu verkaufen:
1) Guten Tag. Ich bin zwar kein Kunde
Ihrer Bank, würde aber gerne mit meiner Karte Geld abheben. Wie hoch sind denn
die Gebühren?
…
2) Aha. Die Höhe der Gebühren richtet sich
nach meiner Hausbank. Ich bin bei der Sparda-Bank Berlin. Können Sie mir
darüber Auskunft erteilen, wie teuer das ist?
…
3) Das ist eine deutsche Bank. Das haben
Sie bestimmt in Ihrem Computer.
…
4) Ich bin bei der Bank, weil ich gerade
ein Erasmusjahr in Berlin gemacht habe.
…
5) Pauschal oder in Abhängigkeit von dem Betrag, den ich abhebe?
…
6) Vielen Dank.
Die Wortbeiträge Nummer zwei, drei und vier würde ich nicht
benötigen, sofern die Gebühr von Caisse
d’Epargne erhoben wurde. Ich musste nur sicherstellen, dass mich
Sebastian nicht verriet. „Lass mich reden. Ich hab solche Gespräche schon
geführt.“
Wir betraten die kundenfreie Filiale. Zwei Bankangestellte blickten
auf und lächelten. Der Jüngere von beiden, ein Mann Anfang zwanzig mit kurzen
gegelten Haaren, eilte auf uns zu.
„Je peux vous aider? - Kann ich Ihnen helfen?“
„Bonjour!“, legte ich los und wurde sogleich unterbrochen.
„Oh, Germany. Your French really good.“
Diese Beleidigung war ein Schlag ins Gesicht. Warum hatte er nicht
gleich gesagt: „Oh, you are from Berlin Friedrichshain.”?
Ich setzte an: „Nein, ich bin nicht aus Deutschland. Ich bin aus
Afghanistan und auf der Suche nach einem Objekt für meinen Dschihad.“
Doch Sebastian kam mir zuvor: „Yes, we are from Berlin. Germany.“ Na
toll. Meine Identität war aufgeflogen. Ich riss das Wort wieder an mich.
„Je ne suis pas un client de votre
établissement. Mais j’aimerais retirer de l’argent avec ma carte bancaire.
Pourriez-vous m’indiquer les frais?“
„Yes, I can. He money, on the money from the
machine. The costs. The bank, that you have. This is he money.“ Offenbar hatte er
Englisch nach dem ersten Halbjahr der siebten Klasse abgewählt. Ich verstand
gar nichts.
„Vous pouvez parler français! - Sie können Französisch sprechen!“,
schlug ich vor.
„No. You talk English!“, weigerte er sich und schüttelte dabei lächelnd
seinen Kopf. Offenbar waren wir in dieser Filiale die ersten Ausländer seit
Menschengedenken und er erhoffte sich vom Gespräch mit mir eine Auffrischung
seiner nicht vorhandenen Fremdsprachenkenntnisse. So setzten wir unser Gespräch
bilingual fort:
„Pardonnez-moi, Monsieur. Mais je n’ai rien pigé
de ce que vous avez essayé de me dire.“ Ich wurde lauter. Er blieb unbeeindruckt: „Okay.
The bank machine … costs moneys. Görman Mark. Not the
machine. But he bank you have. Your bank.”
„Si je vous ai bien compris c’est ma banque en
Allemagne qui prélève des frais sur les retraits de ses clients à l’étranger.“
Sebastian stand ratlos daneben. Er schien unsicher, ob er sich, wie
von mir gewünscht, nicht einbringen durfte, oder mir nun doch unter die Arme
greifen sollte. Abwechselnd schaute er von mir zu meinem Tandempartner.
„Was meint er?“
„Ist mir egal. Er soll Französisch reden.“
„Yes.“
„Quel est le montant?“
„Äh, the bank ... äh the bank Germany has a
name. What?”
Ich schüttelte nur gereizt den Kopf.
“German Bank? Banque de commerce?“, bot er mir
ungerührt an, so als habe er von unseren kommunikativen Schwierigkeiten noch
nichts mitbekommen.
“Sparda-Bank Berlin.”
Ich buchstabierte und er tippte den Namen in seinen Computer ein,
allerdings erst, nachdem er jeden einzelnen Buchstaben wiederholt hatte.
Er blickte eine Weile auf seinen Bildschirm, spielte mit seiner
Unterlippe und fing dann an zu stammeln: „Äh, the money … your banque ...äh, äh
a problème ... ordinaetör here...”
Ich verstand weiterhin nur Bahnhof und versuchte erneut, ihn dazu zu
bewegen, doch einfach Französisch zu reden, unter anderem, indem ich mehrere
französische Zungenbrecher fehlerfrei rezitierte.
Doch er blieb bei Englisch. Ich schaute zu
Sebastian und rollte mit den Augen.
„Soll ich es mal mit Spanisch versuchen?“, bot
er an.
„Mach mal!“, verzog ich verächtlich den Mund und
nickte ironisch. Was sollte das bringen? Warum sollte ein französischer
Bankangestellter einen Deutschen, der Spanisch sprach, besser verstehen als
einen Deutschen, der Französisch sprach?
„Okay. Äh .... Querer ... saber ... banco ...
los costos.“ Sebastian machte doch tatsächlich Ernst. Er beugte sich dabei über
den Schalter, als sei alles ein Problem der Akustik. Sein Spanisch hörte sich
kaum besser an als das Englisch des Caisse-d’Epargne-Mitarbeiters.
War das hier das französische Pendant zu „Verstehen Sie Spaß?“ Wo war die Kamera? Ich wandte mich genervt
an den älteren Kollegen:
„Excusez-moi, Monsieur. Pourriez-vous m’indiquer
le montant des frais prélévés par ma banque allemande pour le retrait
d’argent?“
„Si ... moneta ... no sapere ...cui computer
...di questo bancuo.“
Das sollte wohl Italienisch sein. Ich gab auf. Eine weitere
misshandelte Sprache hatte mir gerade noch gefehlt. Ich verabschiedete mich auf
Russisch und trat den Rückzug an. Sebastian, der so in sein Gespräch vertieft
war, folgte mir erst eine halbe Minute später.
„Ich hab nichts rausbekommen. Wollen wir es noch woanders versuchen?“
„Nein. Scheißegal! Lass uns was abheben! … Wie kommt es eigentlich,
dass du so gut Spanisch kannst?“
„Ich bin mal nach Santiago de Compostela gewandert. Mit Josepha.“
„Bist du gläubig?“
„Nein. Aber ich wandere gerne.“
Er wurde mir immer seltsamer. Ein Glück, dass er
bald in eine WG ziehen würde.
Ende der Woche dazu, wie es klingt, wenn Franzosen Englisch sprechen, am nächsten Dienstag weiter mit dem Roman.
Ende der Woche dazu, wie es klingt, wenn Franzosen Englisch sprechen, am nächsten Dienstag weiter mit dem Roman.
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