Marine
führte uns zunächst zu den verschiedenen Fakultäten. Unsere würde die
literatur- und sprachwissenschaftliche sein, ein dreigeschossiger Bau mit
dunklen Gängen und einem Innenhof, durch den sich steinerne Sitzgelegenheiten
zogen. Dort sollten wir uns in den nächsten Tagen immatrikulieren, um einen
Studentenausweis zu erhalten, und zu Beginn der kommenden Woche mit Hilfe
unserer pädagogischen Berater unseren Stundenplan zusammenstellen. Die zweite
Station war die Bibliothek des Fachbereichs Recht und Literatur, ein flaches
Gebäude, das wie meine Fakultät eine Renovierung bitter nötig hatte. Danach
ging es zur naturwissenschaftlichen Bibliothek, um die es nicht besser bestellt
war. An das Clous, das Studentenwerk am nördlichen Rand vom Campus, wandte man
sich in Wohnangelegenheiten. Wir beschlossen unseren Rundgang mit einem Besuch
der drei Mensen, die sich großzügig über das weitläufige, mit großen Wiesen
durchsetztes Uni-Areal verteilten, der Cafétéria
Arlequin in der rechtswissenschaftlichen Fakultät, der Brasserie La Vague gegenüber der
literatur- und sprachwissenschaftlichen Fakultät und dem riesigen Restaurant Universitaire am südlichen
Ausläufer, gegenüber vom großen Parkplatz. Das Gespräch mit Marine suchte ich
nicht. Sie sollte nicht annehmen, ich hätte die Gruppe ihretwegen gewechselt. Mein Gegenspieler –
der tatsächlich eine italienische Mutter hatte – war plumper:
„Was kann
man hier abends machen?“
„Es gibt
das Hoegaarden. Da finden
Donnerstagabend immer gute Partys statt.“
„Was für
Partys?“
„Karaoke-Partys.“
„Ah. Bist
du da oft?“ Er sprach wirklich ausgesprochen gut Französisch, fast ohne Akzent.
„Recht
oft.“
„Und singst
du auch?“
„Eigentlich
nicht so.“
„Du singst
bestimmt wunderschön.“ Wie billig. Sie musste lachen. Sicherlich, weil ihr dieses
plumpe Kompliment unangenehm war.
„Ich komm
mir gerne mal anhören, wie du so singst.“
Sie musste
wieder lachen. „Ich singe eigentlich nicht.“
„Aber was
würdest du denn gerne singen? Liebeslieder? Romantische Lieder? Französische
Lieder?“
„Meistens kommen Hits.“
„’I can’t get
you out of my mind’ von Kylie Minogue?”
„Nee. Eher
französische Hits.“ Sie schüttelte verlegen den Kopf.
„Ich liebe
französische Hits.“ Wann würde er seine Arme um sie legen? Am liebsten hätte
ich sie aus ihrer misslichen Lage befreit. Aber ich blieb besser im
Hintergrund.
„Und wo
gehst du sonst so hin?“
„Boulevard des
Pyrénées und ins Durango.
Das ist
eine Disko. Aber ich gehe auch nicht ständig weg.“
„Wohnst du
auch im Wohnheim?“
„Nein. Ich
habe eine Einzimmerwohnung.“
Wenn sie
uns anderen nicht immer wieder auch etwas über die Uni und die Stadt erzählt
hätte, dann hätte sie vermutlich die ganze Zeit mit ihm reden müssen.
„Also, ich
führe euch jetzt ins Zentrum und zeige euch noch ein paar Ecken, wo man abends
ausgehen kann.“ Wir verließen die Uni in Richtung Süden.
„Hier ist
das Hoegaarden. Da kann man
feiern.“
Das Café hatte den Charme einer Autobahnraststätte. Südöstlich vom Hoegaarden standen Plattenbauten, auf der anderen Straßenseite ummauerte oder von riesigen Hecken geschützte Villen. Weiter südlich, auf dem Weg zum Zentrum, überwogen dreistöckige Bauten. Kein Haus war wie das andere. Offenbar hatten die Stadtplaner für jedes Bauwerk einen anderen Architekten gewählt und jeden darüber im Unklaren gelassen, was die Kollegen verzapft hatten. Die Bürgersteige waren schmaler als in Deutschland und oftmals zur Straße abfallend. Immer wieder sah man eine Pferdewettenbar, einen Kiosk mit Kneipe, Restaurants, die tagsüber schlossen, kleine Supermärkte. Wir passierten eine Autowerkstatt, Waschcenter, Boulangerien. Dann ging es hinunter ins Quartier Hédas, dem in einer schmalen und länglichen Senke gelegenen Ausgehviertel für Studenten. Hier wurde Pau das erste Mal hübsch. Hier lag auch das Durango. Dann wieder bergan.
Das Café hatte den Charme einer Autobahnraststätte. Südöstlich vom Hoegaarden standen Plattenbauten, auf der anderen Straßenseite ummauerte oder von riesigen Hecken geschützte Villen. Weiter südlich, auf dem Weg zum Zentrum, überwogen dreistöckige Bauten. Kein Haus war wie das andere. Offenbar hatten die Stadtplaner für jedes Bauwerk einen anderen Architekten gewählt und jeden darüber im Unklaren gelassen, was die Kollegen verzapft hatten. Die Bürgersteige waren schmaler als in Deutschland und oftmals zur Straße abfallend. Immer wieder sah man eine Pferdewettenbar, einen Kiosk mit Kneipe, Restaurants, die tagsüber schlossen, kleine Supermärkte. Wir passierten eine Autowerkstatt, Waschcenter, Boulangerien. Dann ging es hinunter ins Quartier Hédas, dem in einer schmalen und länglichen Senke gelegenen Ausgehviertel für Studenten. Hier wurde Pau das erste Mal hübsch. Hier lag auch das Durango. Dann wieder bergan.
Der
Halbitaliener wich nicht von Marines Seite.
„Was läuft
im Durango für Musik?“
„Rock und
Pop.“
„Cool. Ich
mag Rock und Pop. Ich bin ein großer Rock- und Pop-Fan. Magst du auch Rock und
Pop?“
„Ja.“ Was
hätte sie auch sonst antworten sollen? Sie war unsere Tutorin, sie musste nett
zu uns sein.
Ich lief
neben Sebastian, der unentwegt jeden Stein fotografierte, aber mich deswegen
zumindest nicht zwang, mit ihm Gespräche zu führen. Im Centre Bosquet, einem Einkaufszentrum, gab es eine Fnac-Filiale. Hier in der Innenstadt häuften
sich teurere Geschäfte, Versicherungen, Banken. Nach einem Abstecher zum
burgähnlichen Schloss Heinrich IV. mündete unsere Tour bei einem Café Crème im Café Russe auf dem Boulevard
des Pyrénées. Vor uns lag das Gebirge, das Frankreich von Spanien trennte.
Natürlich nahm mein Konkurrent neben Marine Platz. Ich erwischte den Platz auf
ihrer anderen Seite.
„Es ist
wirklich ein toller Blick hier. Wirklich toll.“ Im Grunde hatte er recht. Aber
musste man über so etwas mit einer Frau reden? Wie einfallslos!
„Find ich
auch“, stimmte ihm Marine pflichtschuldig zu.
„Da hast du
wirklich was Tolles ausgesucht.“ Man konnte auch übertreiben. Den Boulevard
steuerte doch jeder Tourist gleich am ersten Tag an.
„Mich
erinnert das ein bisschen an Neapel, wo meine Mutter herkommt. Kennst du
Neapel?“ Er fing an, ihr von Italien vorzuschwärmen. Ich kam gar nicht zu Wort.
Dafür interessierte sich Sebastian nun wieder für mich:
„Findest du
das nicht auch herrlich? Da kann man das Wohnheim gleich vergessen. Das ist
Frankreich. C’est la vie.“
Der
italobritische Flirtkönig wurde immer zudringlicher:
„Hast du
italienische Vorfahren?“
„Nein,
wieso?“
„Du siehst
ein bisschen italienisch aus.“
„Wirklich?
Echt?“
„So der
Hauttyp. Und wegen deiner braunen Augen.“
„Meine
Augen sind aber grün.“ Sie schaute verwundert.
„Aber sie
sehen ziemlich braun aus.“ Sie hatte wirklich hübsche Augen. Und er ein
hässliches T-Shirt: Cicieta Sportiva Calvio Napoli. Ich kam ja auch
nicht mit einem Shirt von Hertha BSC.
Erst bei der Verabschiedung gelang es mir, mich
bei Marine nach ihrer Handynummer zu erkundigen. „Falls ich noch Fragen zur Uni
hab. Ich hab nämlich nicht alles verstanden vorhin“, log ich. Ich würde mich
natürlich nicht sofort bei ihr melden, sondern ein paar Tage verstreichen
lassen. Diese Zurückhaltung würde sich wohltuend abheben von der aufdringlichen
Art meines Rivalen, der sich die Nummer ebenfalls notierte. Ich konnte mir
wirklich nicht vorstellen, dass er bei ihr Chancen hatte.
Ende der Woche mehr zum Café und am Dienstag dann der nächste Auszug vom Roman.
Ende der Woche mehr zum Café und am Dienstag dann der nächste Auszug vom Roman.
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